■ Wissenswertes aus Feld und Flur oder: Die Silo-Katastrophe: Gefährliche Triebe
Wer kennt sie nicht vom Sonntagsspaziergang über die Felder und Fluren der Heimat, die steil in den Himmel aufragenden Silos, diese Ikonen der Moderne unter den landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden? Schober und Scheune, Stall und Stadel stellen sie buchstäblich in den Schatten. Doch wer unter uns Heutigen weiß um den Inhalt jener mysteriösen Stahlkolosse? Was verbirgt sich im Inneren dieser silbrig schimmernden Insignien einer industriealisierten Bauernkultur – Weizenkleie, Haferflocken, Hirsebällchen?
Giftige Gase umfangen den unbefugten Betreter, so will es die Sage. Schauergeschichten von im Silo dahingerafften Bauerngeschlechtern werden an winterlichen Kachelöfen den letzten Überlebenden warnend ins Ohr geraunt. Ja, es ist gefährlich, dem Lagermoloch sein Geheimnis entreißen zu wollen, und wer ihm zu nahe kommt, wird unweigerlich in den Schlund des Speichermonsters hineingezogen und sieht die Außenwelt nur noch im gehäckselten Zustand wieder.
Doch genug der Vorrede, ein tragischer Unglücksfall im Niederbayerischen soll uns, die wir in den behaglichen vier Wänden der Muse des Lesens frönen, ein wenig dem geheimnisvollen Wesen und Wirken der himmelstürmenden „Vertikallager“ näherbringen...
Wie erst jetzt bekannt wurde, haben eine Explosion in einem Deggendorfer Silo und daraufhin ausströmendes „Material“ die Evakuierung von einigen 100 Bauernhöfen im Umkreis von zehn Kilometern notwendig gemacht. Was war geschehen? Nach Auskunft der Bundesanstalt für Strahlenforschung handelt es sich bei dem Silo um einen einige Millionen „Lichtstunden“ fassenden Lichtspeicher, aus dem während der Havarie zirka 375.000 Stunden hochreines Tageslicht entwichen und sich über die umliegende Gegend „ergossen“. „Wir wachten mitten in der Nacht auf, weil plötzlich alles taghell erleuchtet war“, schildert Bäuerin Hermine K. die ungewöhnliche Lichtflut. Nach Auskunft des Sprechers der Bundesanstalt habe aber zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Bevölkerung bestanden, die Evakuierung sei als reine Vorsichtsmaßnahme und willkommene „Katastrophenschutzübung unter Praxisbedingungen“ durchgeführt worden.
Mittlerweile beobachten die Forscher jedoch einen enormen, durch die erhöhte Tageslichtzufuhr verursachten Wachstumsschub auf den Feldern des Unglücksgebietes. Ein regelrechter „Photosynthese-Amoklauf“, so der Sprecher, bedrohe mittlerweile Leib und Leben der Bevölkerung. 30 Meter hohe Maispflanzen überragen die niederbayerischen Vierseithöfe, während omnibusgroße Zucchini schon landwirtschaftliche Nebengebäude unter sich zu begraben drohen.
Trotz der Explosion und den unwägbaren Risiken der Lichtspeichertechnik will die Bundesregierung mit dem Sammeln von Tageslicht fortfahren. „Die regenerativen Energien haben weiterhin Vorrang. Bei einer zukünftigen Ölkrise soll das aufgespeicherte Tageslicht kontrolliert abgelassen werden, um den Energieverbrauch senken zu können.“ Ein gewagtes Projekt, das uns wieder einmal Chancen und Risiken der Industriegesellschaft überdeutlich vor Augen führt. Die Besatzung eines Aufklärungsflugzeuges der Luftwaffe weiß ein Lied davon zu singen: Bei einem Tiefflug prallte die Maschine gegen eine schnellwachsende, gigantische Zwiebelstaude und stürzte ab. Glück im Unglück hatten die beiden Piloten, daß sie sich mit ihrem neuentwickelten Salatschleudersitz retten konnten... Rüdiger Kind
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