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Gefährlich glotzt der Eisbär

Die Anhänger der Eisbären pflegen unvermindert den Kult um den EHC Dynamo Berlin, dessen stasidurchtränktes Image der Eishockey-Verein längst gewinnbringend institutionalisiert hat

von MARKUS VÖLKER

Die Lungen fallen zusammen wie schlaffe Blasebälge. Eben noch dieses tosende, wütende „Berlin-Ost, Ost, Ost, Ost-Berlin“. Jetzt das Ergebnis vom Spiel der Capitals in München: 0:3. Die Westberliner führen. Beim Tabellenführer. Auf den Stehplätzen herrscht betretene Stimmung. Nur kurz. „Ohu, Mann, scheiß Capitalisten“, sagt einer. Dann saugen die Fans wieder Luft ein, als gelte es, Apnoetauchern Konkurrenz zu machen. Und sie schreien es heraus: ihr Lied vom EHC Dynamo.

Immer wieder Dynamo. Eine Kampfansage. Schlagen sich die Spieler im Wellblechpalast in Hohenschönhausen, explodiert das Dynamo in den Kehlen. Eine Abwehrhaltung, die sagt: Kommen die Wessis uns dumm, müssen sie mit uns rechnen. Und unserem Dynamo. Dieses Dynamo bedeutet nichts Gutes. Eine Drohung. Geguckt wird dann böse, so böse wie der Eisbär, das Wappentier. Ziemlich gefährlich glotzt das Maskottchen. Die Fäuste der raufenden Spieler fliegen schneller, bis sich die Linienrichter dazwischen werfen. Augsburger und Berliner lassen voneinander ab. Die Pudhys plärren aus dem Lautsprecher: „Alt wie ein Baum, wollen wir werden.“ Das beruhigt.

Der Verein, mit bürgerlichen Namen: EHC Eisbären Berlin, hat sich damit abgefunden, dass Dynamo Berlin weiterlebt. Pressesprecher Moritz Hillebrand sagt, es sei längst zum inoffiziellen Beinamen geworden. Als ordentlicher wäre er untragbar. Die Öffentlichkeit würde sich dran reiben. Dennoch besteht er weiter. In den Köpfen der Fans. In den Kalkulationen des Klubs, der ihn nach anfänglichen Berührungsängsten nun wie eine Marke pflegt.

Man weiß: Die Fans sehen Weinrot. Kommt es hart auf hart, färbt sich das Bewusstsein in der Farbe des Stasisportklubs. Weinrote Schals hängen um die Hälse. Die PDS hätte gute Chancen auf die Mehrheit der Stimmen. 4.500 kommen zu den Heimspielen. Glatzen sind kaum dabei. Die tummeln sich beim BFC Dynamo, den Fußballern. Der Unterschied ist augenfällig. Nach dem Eishockeymatch, das die Augsburger am Freitagabend 1:4 verlieren, mischen sich beide Gruppen. Der BFC spielt ein Hallenturnier auf dem Gelände des Sportforums. Dem BFC werden mehrere hundert Hooligans mit rechtsradikalen Wurzeln zugerechnet. Die Eisbären sind als unverbesserliche Nostalgiker verschrien.

„Auf dem Eis standen die Underdogs des DDR-Sportsystems, die aber nicht aufgaben, nie, das vergesse mal keiner, der die Eisbären jetzt an die Bande drücken will, es herrscht Übung im Behaupten und Bewahren in dieser Halle“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Nur Stasi-Chef Erich Mielke liebte Eishockey. Die DDR-Nomenklatura lehnte es ab. Zu wenig Medaillen ließen sich mit Eishockey gewinnen.

Rotzfreche Larmoyanz wabert unter dem Wellblech. Früher war man staatstragende Opposition. Heute ist man ausgelassene Partytruppe, die nichts eigentlich zu feiern hat. Die neue Gesellschaft haben die Alten im Block H immer noch nicht kapiert, und die Jungen missverstehen sie gründlich. Das Kollektiv hilft. Für drei Stunden.

Trainer Uli Egen, ein Bayer, lobt die Offenheit, die klaren Worte der Fans. „Die sind was Besonderes in Deutschland“, sagt er. Er selbst spricht gern Tacheles mit den Spielern, sei „überdiszipliniert“. Vor drei Monaten ist er Cheftrainer geworden. Die Zentrale der Eisbären in Los Angeles, im Staples Center – alleiniger Gesellschafter des EHC ist die amerikanische Anschütz-Gruppe – hielt am alten Trainer zu lange fest. Bis die Eisbären im Tabellenkeller waren.

Jetzt sind mit Egen in den verbleibenden 22 Spielen vielleicht sogar die Play-offs drin. Zum Verlauf der Saison sagt er: „Noch haben wir nichts erreicht.“ Sein Konzept lautet: Den Spielern den Egoismus vergällen; sauberes Spiel pflegen; Integration junger Spieler forcieren aus dem Team der Eisbären Juniors, einer Oberliga-Mannschaft, die Egen zuvor betreute. Die Nachwuchsspieler sind neben Sven Felski inmitten der multinationalen Truppe beliebt. In Zukunft sollen sie am Ostbahnhof in einer modernen Halle den Puck treiben. Anschütz übernimmt die Finanzierung, falls das Gelände in Besitz der Deutschen Bahn günstig zu bekommen ist. Momentan ist das Areal noch verseucht mit Asbestrückständen. In den kommenden vier Monaten soll eine Entscheidung fallen.

Für Klaus Merk ist sie das längst. Er mag Ostberlin. Der Torhüter aus Bayern wohnt gleich neben dem Wellblechpalast. „Der Verein ist fast wie eine Religion“, hat er gelernt. Früher hätte er so seine Vorurteile über den Osten gehabt. „Vieles von meinem Bild war falsch, man muss einfach vor Ort sein.“ Und die Capitals? „Ach, das ist keine Rivalität, Berlin verträgt zwei Vereine.“ Auf den Stehplätzen ist man da ganz anderer Meinung. Das wird Merk noch lernen müssen.

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