Gedenken an die Vielfalt: Ein kleiner Wald als Mahnmal
Wo einst die Eberswalder Synagoge stand, erinnert eine neue Gedenkstätte an die Pogrome vom 9. November 1938.
Dieses Denkmal lebt: Ein kleiner Wald gewinnt in einem geschlossenen Innenhof langsam an Höhe. In den kommenden Jahren werden die Bäume für alle sichtbar über die Mauern wachsen. Diese etwa drei Meter hohen Wände aus Waschbeton zeichnen die Außenmauern der 1891 erbauten ehemaligen Synagoge in Eberswalde nach, ein großzügiger Bau im maurischen Stil, blau-weiß gekachelt und mit drei Kuppeln. Die Synagoge wurde in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 laut einer Inschrift „von Eberswalder Bürgern“ niedergebrannt.
Der Hof soll für immer unzugänglich bleiben, um die Leerstelle und Abwesenheit der Synagoge zu symbolisieren, so die Idee der beiden Künstler Horst Hoheisel und Andreas Knitz. Die Außenwände tragen als Inschrift einen Psalm und einen rundum laufenden Text zur jüdischen Geschichte von Eberswalde. „Über 700 Jahre lebten Juden in unserer Stadt und Region und feierten ihre Gottesdienste an unterschiedlichen Orten“, beginnt der Text, um dann daran zu erinnern, dass 1931, als ein Blitzschlag die Synagoge entzündete, „herbeieilende Nachbarn beim Löschen halfen“. Anders als am 9. November 1938, als die Feuerwehr nur ein Übergreifen der Flammen auf die Nachbarhäuser verhinderte. „Seit dieser Zeit fehlen Eberswalde diese Menschen, Freunde, Mitschüler, Nachbarn, Kollegen.“ Nun gedeiht in dem Denkmal „Wachsen mit Erinnerung“ für alle sichtbar neues Leben, das einen Neuanfang symbolisieren soll.
Wegen dieser Ambivalenz wird das Denkmal in Eberswalde international beachtet und hoch gelobt. Vom „großartigsten aller Gedenkorte für eine Synagoge in Europa“, schreibt Professor James Young, Vorsitzender der Jury für das Holocaust-Denkmal in Berlin und Leiter des Instituts Holocaust- und Genozidforschung in den USA, in einem Brief an die Künstler. Wohl deswegen hat sich Bundespräsident Joachim Gauck die brandenburgische Kleinstadt Eberswalde ausgesucht, um zum 75. Jahrestag der Pogrome vom 9. November 1938, die sogenannte Reichskristallnacht, diese Gedenkstätte zu würdigen. Begleitet wird er dabei von Stephan Kramer, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Dass die Gedenkstätte errichtet wurde und nun eine internationale Aufmerksamkeit erfährt, ist auch einer kleinen Schar von Menschen im Nordosten Brandenburgs zu verdanken, die seit der Wende versuchen, bei verschiedenen Themen demokratische Strukturen und eine aktive Beteiligung der Bürger umzusetzen. Ein zentraler Anlaufpunkt ist dabei die Bürgerstiftung Barnim-Uckermark, die neben vielen Bildungsprojekten unter anderem einen Fonds zur Unterstützung von Flüchtlingen aufgelegt hat.
Eine der Stiftungsgründerinnen ist Ellen Grünwald, die in der Nähe von Eberswalde aufwuchs. Als Jugendliche habe sie eine simple Frage zum Thema geführt: „Die Geschichte von Anne Frank spielt in Amsterdam, aber jüdisches Leben muss es doch auch in Eberswalde gegeben haben?“ Und da die gelernte Erzieherin „nicht nur in Eberswalde leben, sondern an der Stadt auch teilhaben und sie erkunden wollte“, machte sie sich auf die Suche. Doch sie fand kaum Spuren – bis auf einen 1966 aufgestellten Gedenkstein am Rande eines Garagenkomplexes der Volkspolizei, der an das Niederbrennen der Eberswalde Synagoge durch „einen faschistischen Mob“ erinnerte. „Aber immerhin war es eine Spur“, sagt die 44-Jährige.
1993 bekam sie erste Hinweise von einem alten Ortschronisten und entdeckte die Ruinen von Polenzwerder, „für mich ein wunderschöner verwunschener Ort“. Hier, etwa fünf Kilometer von Eberswalde in Richtung Angermünde, befand sich in den 1920er Jahren ein zionistisches Ausbildungszentrum für Landwirtschaft, um jüdische Jugendliche auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten.
„Und dann gab es einen unglaublichen Zufall“, erzählt Grünwald: „Eines Tages klopfte eine alte Frau an meine Tür, sie sprach amerikanisches Deutsch, und fragte, ob sie mal in die Wohnung schauen könne, sie habe hier mal gewohnt.“ Die Besucherin stellte sich als Lilli Löwenthal (verheiratete Kirsch) vor, der es 1938 gerade noch rechtzeitig gelang, aus Eberswalde über Australien nach Kanada zu emigrieren. Zwar entpuppte sich das mit der Wohnung als kleiner Irrtum – sie hatte im Nachbarhaus gewohnt –, aber „wir hatten uns gefunden“, sagt Grünwald.
Bald entstand ein lebhafter Mail-Kontakt zwischen den beiden Frauen, Lilli Löwenthal fragte nach vielen Namen und Ellen Grünwald begab sich auf Spurensuche. Im städtischen Museum zeigte man sich eher bedeckt, aber mit Brigitta Heine, Leiterin des Kreisarchivs, fand sie eine Verbündete für die nächsten Jahre. „Sie brannte mit mir für das Thema, wir recherchierten unter anderem einen dicken Ordner zur Familie Löwenthal, wir reisten zusammen nach Israel, wir fanden immer mehr Namen von jüdischen Bürgern aus Eberswalde.“ Mit der Zeit waren es über 400 Namen, und damit „wollten wir etwas machen“.
So entstand im Jahr 2008 das sehr aufwendig gemachte und ästhetisch anspruchsvoll umgesetzte „Eberswalder Gedenkbuch“, herausgegeben vom Heimatverein, in dem die Biografien von rund 400 jüdischen Bürgern Eberswaldes gesammelt sind. „Meines Wissens ist so ein Buch zumindest in dieser Form in Brandenburg einmalig“, sagt Grünwald nicht ohne Stolz. Die 1.000 Exemplare sind fast vergriffen. „Mir war wichtig, ein Buch zu machen, das den Opfern gerecht wird, und zwar allen.“
Immer wieder gab es aus der Bürgerschaft die Frage, ob man außer Salomon Goldschmidt, einem anerkannten Bürger, der unter anderem einen Salon für Jüdische Literatur unterhielt, wirklich alle erwähnen müsse, auch die jüdischen Hausierer? Im Jahr 1929 gab es rund 320 erwachsene jüdische Bürger in Eberswalde, im Jahr 1933 immerhin noch 270, doch dann setzte eine starke Abwanderung vor allem nach Berlin ein, weil die Anonymität der Großstadt besseren Schutz vor den Nazis bot. Manchem gelang die Flucht ins Ausland, aber mindestens 46 jüdische Eberswalder kamen durch die Verfolgung der Nationalsozialisten ums Leben. Heute gibt es hier keine jüdische Gemeinde mehr, nur im nahen Bernau ist nach der Wende eine kleine Gemeinde entstanden.
Ellen Grünwald kann viele Geschichten erzählen, wie schwer sich noch heute manche Bewohner der Stadt mit diesem Teil ihrer Geschichte tun. „So wurde auch bestritten, dass es hier überhaupt jüdische Bürger gab, um dann wenig später, als es um die Verlegung von Stolpersteinen ging, sich zu empören, man könne doch nicht die ganze Stadt zupflastern.“ Oder dass für viele klar war, dass „die Juden“ im Villenviertel gelebt hätten, die Recherchen aber ergaben, dass die meisten eher in ärmlichen Verhältnissen rund um den Marktplatz lebten und kleine Geschäfte betrieben. „Sie waren im Wirtschaftsleben integriert“, erzählt Ellen Grünwald weiter, „vor allem Textilien und Schmuck kaufte man ’beim Juden‘.“ Im Alltag hätten zum Beispiel die jüdischen Schüler wenig Kontakt zu den christlichen Schülern gehabt, „das jüdische kulturelle Leben spielte sich in der Synagoge ab“.
Als das Gedenkbuch erschien, sei das wie ein Wendepunkt für die Stadt gewesen, sagt Grünwald. „Auf einmal kamen zum Platz vor der Synagoge am 9. November nicht nur ein Dutzend, sondern zwei- bis dreihundert Leute.“ Und so entstand parallel zum Gedenkbuch die Idee, etwas mit dem Gelände der ehemaligen Synagoge zu machen. „Besonders der damalige Sparkassen-Chef Josef Keil spielte da eine wichtige Rolle“, erinnert sich Grünwald, „er setzte einen Architektenwettbewerb und eine wirkliche Bürgerbeteiligung durch.“
Keine Kranzabwurfstelle
In mehreren Workshops, ergänzt Stefan Neubacher, Leiter des städtischen Kulturamts, „diskutierten und entwickelten 30 bis 40 Eberswalder mit den Künstlern erst die verschiedenen Entwürfe“. Es dauerte zwar dann bis zum 9. November vergangenen Jahres, bis der kleine Wald gepflanzt und die Mauer geschlossen werden konnte. Und erst dieses Jahr werden die Außenanlagen fertiggestellt und nun im Beisein von Bundespräsident Gauck eingeweiht. „Eigentlich freue ich mich über die Anerkennung, die mit dem Besuch von Gauck und Kramer verbunden ist“, sagt Ellen Grünwald.
Andererseits sieht sie auch, wie wenige Menschen letztlich die Aktivitäten tragen. Zwar ist aus der grauen Industriestadt Eberswalde, in der 1990 Amadeu Antonio aus Mosambik von rechtsradikalen Jugendlichen ermordet wurde, eine kleine Universitätsstadt mit einer „grünen“ Hochschule für nachhaltige Entwicklung geworden. Doch nun „muss der Gedenkort mit Leben gefüllt werden“, sagt Stefan Neubacher. Die Stätte solle „keine Kranzabwurfstelle“ werden. Ganz in diesem Sinne wird im Anschluss an die Gedenkfeierlichkeiten im nahe gelegenen Paul-Wunderlich-Haus eine Fotoausstellung zu „Modernem Jüdischem Leben in Deutschland“ eröffnet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern