Gedanken über die große Liebe: Ganz ohne Feuerwerk
Die große Liebe muss nicht mit einem Knall kommen. Sie äußert sich gerade in den kleinen, unscheinbaren Dingen – und überall.
N eulich war ich für eine Aufzeichnung geschäftlich in Köln und lag im Hotelzimmer und schaute fern. Bei ZDFneo lief eine Sendung, die sich mit der Partnerwahl beschäftigte und von Janin Ullmann moderiert wurde. Sie traf Paare, die in ganz unterschiedlichen Konstellationen lebten und über ihr Leben und ihre Liebe erzählten. Ein Satz blieb mir in Erinnerung: Wenn dein Vater oder deine Mutter für dich keine positiven Partnervorbilder waren, suchst du dir jemanden aus, der ganz anders ist als sie.
Eigentlich logisch, dachte ich. Mein Vater und meine Mutter waren allen Erzählungen nach so verliebt wie kein anderes Paar in Kigali, Ruandas Hauptstadt der 1990er Jahre. Davon weiß ich aber nicht mehr so viel, weil mein Vater umgebracht wurde, als ich fünf Jahre alt war. Für mich war die große Liebe früher eher das, was ich über meine Eltern hörte. Etwas, das mal war und nicht mehr existiert. Höchstens noch in Filmen und Serien.
Ich dachte an meinen neuen Podcast „1000 erste Dates“ und die vielen Menschen, die ich dafür getroffen hatte, die allesamt irgendwie die große oder kleine Liebe suchen. Auch, wenn es um vermeintlich banale Dates geht, ist die Liebe doch immer ein zentrales Element.
Denn hier kommt meine Theorie: Ich glaube nicht, dass die große Liebe Riesenfeuerwerke, Konfetti und Drama ist. Liebe ist stattdessen, wenn meine Mutter mit 63 Jahren plötzlich jeden Sonntag mit meinem Stiefvater spazieren geht, obwohl sie Spazierengehen hasst. Und wenn er mit ihr ihre Lieblingssendung hört, obwohl er überhaupt nicht im Thema ist. Liebe ist, wenn deine beste Freundin nach einem langen Tag mit deinem Lieblingswein auf dich wartet und sich aufmerksam deine (für dich) dramatischen und für sie eigentlich langweiligen Bürogeschichten anhört.
„Liebe ist …“
Liebe ist, wenn du deiner Freundin eine Playlist nach der anderen zusammenstellst, obwohl du nie sicher bist, ob sie die Lieder überhaupt hört. Liebe ist, wenn du einen Zug später nimmst, damit du mit deinem Date fahren kannst, auch wenn der andere Zug praktischer gewesen wäre. Liebe ist, wenn du einer Mutter mit dem Kinderwagen hilfst und deinen Platz in der Bahn anbietest. Liebe ist, wenn sich drei Teenager einen Tik-Tok-Tanz beibringen und ständig in wildes Gelächter ausbrechen. Liebe ist, wenn sich kleine Krokusse in der Sonne strecken, obwohl sie in drei Tagen verblüht sein werden und sich niemand mehr an sie erinnern kann.
Liebe ist in allem drin. In den kleinen und großen Dingen. In Gesten, Worte, Taten, Blicken und Mahlzeiten. Ich weiß, das klingt alles wahnsinnig kitschig und vielleicht sogar ziemlich abgedroschen. Und ein wenig erinnert dieser Text an die „Liebe ist …“-Postkarten von früher.
Aber manche Dinge haben es durchaus verdient, ständig und immer wieder wiederholt zu werden. Heute, mehr denn je, brauchen wir mehr Liebe überall.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene