: Gedächtnisschwund im Zeugenstand
Die arabischen Zeugen im Hammadi-Prozeß präsentieren sich mit einer bemerkenswerten Gedächtnisschwäche / Ob es um die gemeinsame Schulzeit, um Aussagen vor der Polizei oder um versteckten Sprengstoff geht, in der Gegenwart des Angeklagten kann sich keiner mehr erinnern ■ Aus Frankfurt Heide Platen
Muhamad Ali Hammadi ist ein höflicher Mensch. Der wegen Flugzeugentführung, Mord und Sprengstoffdelikten angeklagte und inzwischen geständige jüngere Bruder Hammadi ist belesen, politisch, spricht, wie ein Experte versichert, ein wortreiches, hochgebildetes Arabisch. Er kennt sich aus in deutscher Geschichte, baut sie in seine Verteidigungsreden ein und auch um, wenn es ihm paßt. Er ist bewandert in der Weltpolitik. Und er ist von sich selbst eingenommen. Gewandt reiht er Lüge an Lüge, macht Teilgeständnisse, ändert hier und verbessert da. Kann eine seiner Wahrheiten den Beweisen nicht standhalten, hat er stets schon die nächste parat. Er trägt sie mit der gleichen Überzeugungskraft vor wie die dann folgende und übernächste Variante. Und immer ist die letzte diejenige, bei der er eben eingesehen hat, „nun aber endlich die Wahrheit sagen zu müssen“. Der Tonfall ist immer gleich eindringlich und auch ironisch und überheblich. Mal will er gar nicht gewußt haben, daß er Sprengstoff in die Bundesrepublik schmuggelte, dann gibt er das zu und will am besten auch noch den Sprengstoff mitgenommen haben, der seinem Bruder Abbas zur Last gelegt wird. Richter Mückenberger fällt es manchmal schwer, an sich zu halten.
Sichtlich aus der Fassung gerät Mückenberger, als zu erdulden ist, was auch schon dem Düsseldorfer Richter Arend im Prozeß gegen den Hammadi-Bruder Abbas zu schaffen machte: die arabischen Zeugen. Sie grüßen den Angeklagten freundlich und respektvoll, bei Fragen des Gerichts aber sind sie von einem kollektiven Gedächtnisschwund befallen.
Da ist zum Beispiel Abdul K., der mit Hammadi zusammen zur Schule ging. In welche, das weiß er nicht mehr. Wie das Haus der Hammadis aussah, in dem möglicherweise die Entführten Cordes und Schmidt zeitweilig versteckt wurden, weiß er auch nicht mehr. Er habe ein schlechtes Gedächtnis wegen eines „Fiebers“, das er als Kind gehabt habe. Dennoch ist von Abdul K. einiges über die realen Verhältnisse im Libanon zu erfahren, auch wenn es im Gelächter des Publikums untergeht. Wenn er sagt, er habe in der Schule immer „nur gegessen und geschlafen“, dann mag das daran liegen, daß dies ein sicherer Ort war, der im Gegensatz zum Elternhaus nicht regelmäßig unter Beschuß stand. An die Dauer seiner und Hammadis Schulzeit erinnert er sich nicht mehr. Das mag damit zu tun haben, daß er peinlich vermeidet, Rückschlüsse auf das Alter Hammadis zuzulassen, das noch immer unbekannt ist. Er sei dann ohnehin nicht mehr zur Schule gegangen. Vorher sei er „sitzengeblieben“, weil er „ja eigentlich sehr klug gewesen sei“. Im Gelächter der Zuhörer geht die Bemerkung eines anderen Zeugen unter, der sagt, die Schule sei beschossen und drei Kinder dabei getötet worden.
Schulfreund Hammadi stellt dem Zeugen suggestive Fragen, die dieser brav beantwortet. Ob er nicht, fragt er, und hebt demonstrativ den rechten Arm hoch, eine Verletzung gehabt habe? Bevor er gestand, hatte der Angeklagte behauptet, gerade zum Zeitraum der Entführung der TWA-Maschine im Sommer 1985 wegen der Operation einer alten Schußverletzung den Arm in Gips getragen zu haben. Der Zeuge ist irritiert, zögert, sagt dann treuherzig: „Er hat zwar den Arm hochgehoben, aber ich weiß nicht welchen. Ich habe nicht aufgepaßt.“
Ein anderer Zeuge erinnert sich kaum noch an eine frühere Aussage, die er bei der Polizei gemacht haben soll. Wenn ihm Abbas Hammadi erzählt habe, sein Bruder Muhamad Ali habe „etwas“ mit der Entführung der TWA-Maschine zu tun, dann sei das damals sehr vage gewesen. Das Gespräch habe in einer Kneipe statgefunden, er habe den angetrunkenen Mann für einen „Angeber gehalten“.
Völlig sybillinisch gibt sich der Palästinenser Hamsa K. Er war ein Nachbar von Abbas Hammadi in der Bundesrepublik, von ihm aus telefonierte dieser mit dem Libanon und mit ihm telefonierte er, wenn er die Heimat besuchte und Nachrichten in die Bundesrepublik hatte. Diese Telefongespräche wurden während und nach der Entführung von Schmidt und Cordes abgehört und dienten mit zur Verurteilung des Abbas Hammadi. Hamsa K. weiß vor Gericht von nichts, erinnert sich an nichts.
Der Mann, der laut Tonbandprotokollen zumindest Mitwisser der Entführungen ist, und der den Hammadis Ratschläge per Telefon erteilte, sagt im Zeugenstand: „Ich schwöre bei Gott, daß ich nur das Gute beabsichtigt habe für die beiden unschuldigen Deutschen.“ Die Entführer im Libanon habe er für „Terroristen“, für „eine Mörderbande“ gehalten. Das habe doch mit diesem Prozeß aber nichts zu tun, denn der Entführer heiße ja nicht Muhamad Ali Hammadi, sichert er sich dann in Richtung des Angeklagten ab. Der Prozeß gegen Hamsa K. steht noch aus, der Haftbefehl ist zur Zeit außer Kraft gesetzt.
Auch Ali Raschid H. erinnert sich nicht. Er ist angeklagt, den Brüdern Hammadi beim Verstecken des Sprengstoffes im Saarland geholfen zu haben. Auch dieser Prozeß steht noch aus. H. sagt ebenfalls, er habe von nichts gewußt, sei unpolitisch. Ob er nicht einen Anruf erhalten habe, er solle die versteckten Flaschen mit Sprengstoff beseitigen? Nein, sagt der Zeuge. Richter Mückenberger antwortet zum wiederholten Mal in diesem Prozeß einem Zeugen: „Das glauben wir nicht!“
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