: Geburtstag im Zeichen der Hungersnot
Nordkoreas Schattenführer Kim Jong Il wird 54. Es gibt immer mehr Hinweise auf eine katastrophale Ernährungslage im Land. Immer mehr Menschen versuchen zu flüchten ■ Aus Tokio Georg Blume
Obwohl ihn die Behörden seines Landes neuerdings als „Großen Führer“ preisen, ist Nordkoreas designierter Staats- und Parteichef, Kim Jong Il, nicht vom Glück verfolgt. Ausgerechnet zu Baby Kims 54. Geburtstag, den man heute mit einer unauffälligen Staatszeremonie in Pjöngjang feiern will, sorgt sein Land fast täglich für Negativschlagzeilen: Gestern kam ein nordkoreanischer Geheimdiensbeamter in der russischen Botschaft in Pjöngjang ums Leben, nachdem er zuvor um politisches Asyl gebeten und bei einer Schießerei drei Nordkoreaner getötet hatte. Ob er erschossen wurde oder Selbstmord verübte, war zunächst umstritten. Tags zuvor berichteten südkoreanische Zeitungen von der Flucht der ersten Ehefrau Kim Jong Ils.
Weit gewichtiger erscheinen indessen Augenzeugenberichte von der Grenze zwischen China und Nordkorea, nach denen in den letzten Tagen Hunderte Nordkoreaner über den zugefrorenen Grenzfluß Yalu in die Volksrepublik geflüchtet seien. Die Grenze zwischen den traditionell befreundeten Staaten wird bisher kaum bewacht. Als Ursache für die vermutete Fluchtbewegung gilt eine zwar immer noch nicht bewiesene, aber von dem kommunistischen Regime selbst nicht mehr in Frage gestellte Hungersnot in Nordkorea.
Schon im vergangenen Jahr hatte die Regierung in Pjöngjang das langgehütete Prinzip der Selbstversorgung („Juche“) aufgegeben und den Westen erstmals um Hilfe gebeten. Anlaß waren überflutete Reisfelder und eine katastrophale Ernte, die nach Angaben internationaler Hilfsorganisationen noch in diesem Jahr ein Massensterben aufgrund von Unterernährung in Nordkorea denkbar erscheinen lassen. Seoul weigert sich, größere Mengen Reis zu liefern, weil man befürchtet, daß dieses in den Mägen nordkoreanischer Soldaten landet. Japan und die USA beugen sich bis heute dem südkoreanischen Drängen nach Härte, derweil China bisher die knappe Versorgungslage im eigenen Land anführte. Medienberichten in Japan zufolge plant Peking eine Lieferung von 500.000 Tonnen Reis an Nordkorea.
Wann und ob Kim Jong Il die Nachfolge seines Vaters übernimmt – des „Großen Führers“ Kim Il Sung, der Nordkorea von 1948 bis 1992 regierte – ist immer noch nicht klar: Der Sprecher des Pjöngjang-treuen Vereins koreanischer Einwohner in Japan, So Chung On, ist gleichwohl überzeugt, daß Kim Jong Il am zweiten Todestag seines Vaters im Juli dieses Jahres zum Generalsekretär der nordkoreanischen Arbeiterpartei ernannt wird.
Überraschend offen sprach So, dessen Position in Tokio der eines Botschaftssprechers entspricht, über die dramatische Versorgungslage in Nordkorea: „Das Ernährungsproblem wird uns das ganze Jahr und vielleicht noch länger beschäftigen“, sagte So. Allerdings schloß der Sprecher weitere Hilfeanforderungen von seiten Nordkoreas aus. „Andere haben versucht, aus unsere Not politisches Kapital zu schlagen. Dieser Erpressung werden wir uns nicht beugen“, sagte So in Anspielung auf die südkoreanische Politik.
Siehe auch Seite 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen