: Geben und Nehmen
■ Modernes Country-Netzwerk: Lambchop, Calexico und Vic Chesnutt helfen sich gegenseitig über die Runden
„Wäre die Katze ein Pferd, könnte man Bäume hochreiten,“ hat Heiner Geißler Sonntag abend gesagt. Wäre die Country-Welt eine andere, würde „The Saturday-Option“ als gülden leuchtender Whiskey durch die brennende Kehle eines talentierten Jung-Baritons in den Fußstapfen von George Jones fließen. Und Kurt Wagner, der diese Ode auf den großen Wochenend-Fick verfaßt hat, wäre am frisch formulierten Ziel angelangt, nämlich Songs zu schreiben, die „jeder singen kann“. Und jeder Country-Sender spielen muß.
Bis es soweit ist, muß der kreative Kopf von Lambchop, der seinen 40. Geburtstag in Hamburg feiern wird (Achtung, Ständchen!), weiter seine Gesundheit als Fußbodenrestaurateur ruinieren. Also vermutlich ewig. Längst schmer-zen Knie und Rücken, hat die Lunge zuviel Staub gefressen. Doch Wagner jammert nicht, sondern rafft sich nach Feierabend regelmäßig zu musikalischen Exponaten auf, die bei allem Stilwillen nie in bloßen Manierismus abrutschen.
What Another Man Spills, das aktuelle Oeuvre seiner Bigband Lambchop, tut viel 70ies-Soul in den großen, heuer nicht mehr nur ganz langsamen Country-Fluß und reaktiviert damit eine historische Allianz, die selbst eine schubladenversessene Marketing-Maschinerie bis heute nicht wirklich auseinander dividieren konnte. Schließlich gäbe es „keinen Schlagbaum“ zwischen diesen Genres, aber viele Gemeinsamkeiten, sagt Wagner. Und bedankt sich mit einem mutigen Falsett, das ebenso „lächerlich“ (Wagner) wie anrührend wirken muß.
Sollte Wagner nicht mehr als Songwriter reüssieren, der gelassen die monatlichen Tantiemenschecks aus seinem Briefkasten holen kann, könnte ihn nur noch eine kleine Produzentenkarriere von der täglichen Nine-to-Five-Fron befreien. Die erste Arbeitsprobe klingt vielversprechend: Vic Chesnutt wollte für The Salesman And Bernadette unbedingt den Lambchop-Sound und bekam ihn auch. Als Gegenleistung verlangte Wagner Songs, die sich da so richtig schön reinkuscheln. Und bekam sie auch. Chesnutt bleibt dabei nicht ganz, aber ein bißchen auf der Strecke. Als nächster Kandidat steht der junge Folk-Pop-Songwriter Josh Rouse auf Wagners Liste. Vermutlich ohne Lambchop.
Da wäre dann wohl erstmals eine Flexibilität gefragt, die Joey Burns und John Convertino als langjähriger Rhythmusgruppe des Giant Sand-Chefs Howe Gelb längst zur zweiten Natur geworden ist. Und die sie auch schon mit wechselnden Ergebnissen in den Dienst ähnlich enigmatischer Charaktere (Victoria Williams, Lisa Germano) gestellt haben. Als Calexico, die live im Quintett antreten, sind sie indes immer besser geworden. Auf The Black Light, seinem aktuellen, dritten Album, bedankt sich das Duo auch bei Cormac McCarthy. Das paßt: Die dunklen, existentialistischen Balladen und relaxten Mariachi-Instrumentals stellen den idealen Soundtrack, wenn der US-Schriftsteller all seine schönen Pferde samt Reitern in den Sonnenuntergang schickt, wo wieder mal nur Vergeblichkeit, Scheitern, tragische Romantik warten. Katzen würde das nicht passieren.
Jörg Feyer Mo, 5. Oktober, Fabrik, 21 Uhr
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