Gebaut wird von nun an in Serie: Mehr Platte?

Wohnen ist mittlerweile eine Frage der Klassenzugehörigkeit. Zeit, sich die Platte mal genauer anzuschauen: Was kann sie? Was kann sie nicht?

Luftaufnahmen aus dem Fesselballon in der Mitte der Stadt zeigen Plattenbauten in der Leipziger Straße in Berliln

Quadratisch, praktisch, gut? An der Platte scheiden sich die Geister Foto: Karsten Thielker

von SIMONE SCHMOLLACK

taz lab, 12.02.22 | Die Platte hat einen unfassbar schlechten Ruf: Die Wohnungen im Neubau sind normiert, man kriegt keinen Nagel ohne Bohrmaschine in die Betonwand, hört die Nachbarn und riecht, welcher Braten am Sonntag auf dem Tisch steht.

Aber jedes Kind weiß mittlerweile: Ohne die Platte gäbe es hierzulande noch weniger Wohnungen und noch mehr Wohnungssuchende. Was Klara Geywitz, die neue Bauministerin, veranlasste zu verkünden: 400.000 neu gebaute Wohnungen jedes Jahr sind für die SPD-Politikerin und die Ampel­regierung kein Problem, die werden einfach mit „Modellen für serielles Bauen“ hochgezogen.

„Modelle für serielles Bauen“? Eine Bauweise, so ähnlich wie sie tausendfach im Osten angewandt wurde, nur anders ausgedrückt. Neubauviertel gibt es in Jena-Lobeda, Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau. Und in nahezu allen Großstädten der Welt: Köln, Paris, Brüssel, Stockholm, Moskau, New York.

Und so soll es gehen, das serielle Bauen: Einheitliche Module werden irgendwo jenseits der Baustelle gefertigt und zusammengesetzt. Am Bauort selbst müssen nur noch die Bodenplatte gelegt und die Module hochgezogen werden.

Das entlaste „den Bauprozess, macht ihn schneller und vermeidet auch sehr viel Baulärm und lange Bauzeiten in den Innenstädten“, glaubt auch Geywitz.

Aber: Serielles Bauen ist nicht einfach und überall umsetzbar

Aber so einfach ist das nicht, sagt der Architekt Jan Große. Die Idee sei zwar richtig, erklärt der Ostberliner, der seit 30 Jahren in Brandenburg und Berlin Wohnhäuser, Kitas, Schulen, öffentliche Gebäude baut.

Aber die Umsetzung sei „kurzfristig nahezu unmöglich: Vorfertigung ist nichts, was man mal eben auf die Beine stellt, und nächstes Jahr baut man los. Das braucht komplexe Vorbereitung, Planung, Technologie, Infrastruktur, Vergaberecht.“ Eine Legislatur reiche da nicht aus.

Und: „Serielles Bauen geht nur in großen Einheiten, also auf der grünen Wiese.“ Nicht „seriell“ bebaut werden können komplizierte kleinere Standorte wie Baulücken in den Innenstädten, also dort, wo die meisten Menschen bezahlbare Wohnungen suchen.

...Oder doch, mithilfe moderner Technologien?

Das ist Quatsch, sagt wiederum Jörg Bauer, Vorstandschef des Bundesverbands Bausysteme in Weißensberg im schwäbischen Landkreis Lindau: „Das geht sehr wohl.“

In einem Leserbrief an die taz schreibt er: „Das heutige serielle Bauen mit vorgefertigten, dreidimensionalen Raumsystemen hat nichts gemein mit der Elementbauweise der 70er Jahre und den Plattenbauten der DDR, bei der die einzelnen Betonfertigteile wie Deckenplatten und Wände auf die Baustelle angeliefert, aber dort erst zusammengebaut werden.“

Wer wie wohnt ist eine Frage des Geldes

Kaum ein Thema passt so perfekt zum diesjährigen lab-Motto „Klima und Klasse“ wie dieses. Wohnen ist mittlerweile eine Frage der Klassenzugehörigkeit: Haste was, kannste wohnen, am liebsten im Altbau in der Innenstadt. Haste nichts, findste keine Wohnung und/oder wirst an den Stadtrand verdrängt. Häufig in Neubauviertel.

Wobei gesagt werden muss, dass die Platte eine hohe Wohn- und Lebensqualität bieten kann. Die Autorin dieses Textes ist selbst in der Platte groß geworden und weiß die Vorzüge des Neubaus noch immer zu schätzen.

Plattenbau also im großen Stil?

Wie geht das nun mit der Plattenbauweise weiter? Kann man sie nur auf der grünen Wiese anwenden, wie der Architekt Jan Große meint? Oder auch als „vorgefertigte Raumsysteme“, mit denen Baulücken geschlossen und Supermärkte wie Parkhäuser „hervorragend aufgestockt“ werden können, wie Verbandschef Jörg Bauer vorgibt.

Darüber werden wir auf dem taz lab diskutieren und streiten, unter anderem mit dem Architekten Jan Große und dem Bausystemeverbandschef Jörg Bauer.