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Archiv-Artikel

Gebären für die Wirtschaft

betr.: „Neues Humankapital entdeckt“, „Ausgerechnet: das unglaublich wertvolle „Humankapital“, taz vom 21. u. 22. 1. 05

Gebärfreudigkeit also, um der Wirtschaft Kinder zu schenken. Man ist schon versucht, ein paar historische Vergleiche anzustellen: Früher adressierte man sie dem Führer, denn Deutschland brauchte Soldaten. Das in der taz vom 22./23.1. vermeldete Aufheulen der Oberideologen der sog. Wirtschaftswissenschaft (auch in der taz leider öfters ohne Gänsefüßchen mit dem blödsinnigen Begriff „Wirtschaftsweise“ tituliert) auf das wunderbar gewählte Unwort des Jahres zeigt: Es ist wichtig, deren Begriffe offensiv zu hinterfragen und konsequent zu meiden – gerade für Journalisten sollte das gelten. Auch, ich bitte dringend, für die taz!! WOLFGANG NEEF, Berlin

„Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!“ Das gilt natürlich auch für die auf Grundlage von Statistiken erstellten Karten des neuen „Familienatlas“, wenn man sie nicht über- oder nebeneinander legt – oder vielleicht auch fehlende nicht vermisst. „In Ostdeutschland gibt es das beste Betreuungsangebot, aber die wenigsten Geburten, also habe das nichts miteinander zu tun“, schlussfolgert nicht Ulrike Winkelmann, aber das konservative Lager.

Da fehlt vielleicht eine Karte: Wie hoch ist eigentlich der Anteil von Frauen in gebärfähigem Alter in diesen Regionen? Wenn 20 bis 30 Prozent Arbeitslosigkeit herrschen, drängen die Männer zunehmend in die klassischen Frauenberufe – und die Ost-Frauen, für die Erwerbsarbeit selbstverständlicher Teil ihres Lebens und Selbstwertgefühls ist, geraten ins Abseits oder ziehen dorthin, wo es Arbeitsplätze gibt. In Teilen Mecklenburg-Vorpommerns kommen auf vier Männer zwischen 20 und 40 nur noch drei Frauen der gleichen Generation. Wer noch eine Partnerin abbekommt, verdient aber oft auch nicht so viel, dass er sich Kinder leisten kann. Der dumme Rest sitzt abends vor der Glotze oder in der Kneipe, ist frustriert, sexuell unbefriedigt und auf der Suche nach Schuldigen. Wehe dem Fremden, der dann mit seinem Dönerstand auftaucht und als weiterer Konkurrent ums weibliche Humankapital verdächtigt wird!

Dazu kommt, dass gerade die kreativen und gebildeten jungen Menschen in den Westen ziehen und damit jene, die noch imstande wären, etwas aufzubauen, wenn man sie nur ließe. Es braucht Anreize nicht nur zum Kinderkriegen, sondern auch zum Ansiedeln in solchen Gebieten. Oder aber einen politischen Beschluss, bestimmte Regionen zu renaturieren und die Siedlungen dort platt zu machen. So ließe sich zumindest der Widerstand gegen das Bombodrom in der Wittstock-Ruppiner Heide beseitigen.

HEINZ-HERWIG MASCHER, Hohen Neuendorf