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Gebärdensprache als 1. Priorität

Betr.: „Schwerhörige unter sich“: Die geplante Zusammenlegung der Schwerhörigen- und Gehörlosenschule, taz hamburg vom 2. März 2000

Leider war euer Artikel über die geplante Zusammenlegung der Schwerhörigen- und Gehörlosenschule sehr einseitig dargestellt. (...) Ich selbst war ein Jahr lang als Zivildienstleistender an der Samuel-Heinicke-Schule (Gehörlosenschule) Hamburg tätig und habe (...) die Deutsche Gebärdensprache erlernt.

1. Für die normale intellektuelle Entwicklung eines Kindes ist eine unverkrampfte und unbeschwerte Kommunikation absolute Bedingung. Und das ist bei Gehörlosen Kindern ohne Frage die Gebärdensprache. Dies muss Priorität Nummer eins haben. Aufbauend auf dieser Basis kann erst die Lautsprache vermittelt werden. Diese kann niemals eine natürliche Kommunikationsform für Gehörlose sein.(...)

2. Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich, dass vielen Schwerhörigen nicht nur die Kommunikation mit Normalhörenden schwer fällt (...), sondern auch untereinander. Was dann? Dafür ist die Gebärdensprache sehr wertvoll. Dazu kommt, dass sich Schwerhörige meistens der Problematik ausgesetzt finden, dass sie zwischen den zwei Welten - der hörenden Welt und der Gehörlosengemeinschaft - hin- und her gerissen sind (...). Die Gebärdensprache böte ihnen wenigstens die Chance, in die Gehörlosengemeinschaft voll integriert zu werden und sich mit dieser zu identifizieren.

3. Schwerhörigkeit wird im Laufe der Jahre niemals besser, sondern eher schlimmer. Was dann? Irgendwann hat auch die Technik ihre Grenzen. Viele Schwerhörige ertauben vollständig im Alter und genau dann wäre die Kenntnis der Gebärdensprache so wichtig! (...)

4. Gebärdensprache behindert auf keinen Fall die lautsprachliche Entwicklung. Das ist absoluter Quatsch! Im Gegenteil. (...) Ich habe den Unterricht und die Entwicklung der Kinder gesehen, die zweisprachig (Gebärden- und Lautsprache) erzogen werden. Sie schlagen von ihren intellektuellen Fähigkeiten gleichaltrige Kinder der Schwerhörigenschule um Längen! (...)

5. Es ist ebenfalls absoluter Quatsch, dass der Unterricht durch die Gebärdensprache verlangsamt wird. Man kann alles genauso schnell und genauso komplex ausdrücken wie in jeder Lautsprache auch. Das ist eine fadenscheinige Ausrede von Lehrern, die meistens nur zu faul sind, die Gebärdensprache zu lernen und/oder aus Unkenntnis uralte Vorurteile gegen sie hegen (...). Jens Lubbadeh

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