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DIE ANDERENGazeta Wyborcza

■ Grenzen Deutschland endgültig

Grenzen Deutschlands endgültig

Bereits der erste der Artikel des Vertrages beinhaltet ganz klar die Bestätigung der gegenwärtigen Grenzen Deutschlands, darunter der deutsch- polnischen, und die Verpflichtung zur Unterzeichnung eines polnisch- deutschen Vertrages über diese Grenze. Zwar fehlt die Formulierung, daß dies möglichst schnell nach der Vereinigung Deutschlands stattfinden soll, Deutschland erklärt jedoch den Willen, schnell diesen Vertrag zu vereinbaren.

Unklar ist die Frage der Souveränität Deutschlands. Der 2+4- Vertrag sagt deutlich aus, daß dies nach dessen Ratifizierung durch die Fünf (4+Deutschland) zur Tatsache werden wird, allein der Oberste Sowjet der UdSSR kann dies bis zum nächsten Jahr hinauszögern.

Boden entzogen

Die wichtigsten Bestandteile des 2+4-Vertrages sind die feierliche Bestätigung der Verpflichtung der Regierungen der BRD und der DDR, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf, sowie den Verzicht auf Produktion, Lagerung und Stationierung von Kernwaffen. (...) Und dennoch ist die deutsche Frage aus voll verständlichen Gründen nun schon über einige Jahrzehnte hinweg für das sowjetische Volk, ja für alle Völker Europas sehr sensibel. Es gibt die Befürchtung, daß die Vereinigung der beiden deutschen Staaten der Sicherheit unseres Landes Schaden zufügen kann. Der Vertrag entzieht solchen Befürchtungen den Boden, da in ihm Garantien verankert sind, die allen Realitäten der Lage im heutigen Europa Rechnung tragen.

Ende des Nachkriegseuropa

Seine Grundlage bildet der Ausgleich der rechtlichen Interessen aller Staaten. Es stellt unsere gemeinsame Auffassung hinsichtlich einer konstruktiven Rolle und des Platzes des künftigen Deutschland dar. Das Dokument umreißt die Grenzen des vereinigten Deutschland. Zugleich wird darin der Verzicht auf irgendwelche territorialen Forderungen unterstrichen. Wir lesen in dem Dokument, daß von deutschem Boden nur Frieden ausgehen kann. Der Vertrag wird vom Moment der Ratifizierung seitens der Signatarstaaten an bindend sein, genaugenommen durch das gesamtdeutsche Parlament sowie durch die Parlamente der vier Mächte. Das vereinigte Deutschland wird also erst mit dem Abschluß des Ratifizierungsprozesses souverän werden, auch wenn es de facto dies schon am 3. Oktober, zum Zeitpunkt der Vereinigung, sein wird.

Friedlicher Sieg der Diplomaten

Die bösartige Geschwulst im Körper Europas war vor 45 Jahren liquidiert worden. Doch die Narbe von der ,Operation‘ war geblieben. Und jetzt werden wir zweifelsohne Zeugen eines historischen Ereignisses, des zweiten, äußerst bedeutenden Sieges in Europa. 1945 hatten die Militärs gesiegt. Vorgestern in Moskau trugen die Diplomaten einen friedlichen Sieg davon. Die Außenminister unterzeichneten im Rahmen der 2+4- Gespräche ein Abkommen, das die endgültige völkerrechtliche Regelung des Prozesses der deutschen Vereinigung betrifft.

Unter die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges wurde der Schlußstrich gezogen. Es begann eine neue Zeitrechnung, es wurde ein Dokument unterzeichnet, das die Interessen aller Seiten ausgleicht. Die Teilnehmer der Verhandlungen demonstrierten ihre gemeinsame Ansicht von der Rolle, die das künftige Deutschland einnehmen wird. Wichtigstes Moment ist die Frage der Grenzen, die Festschreibung des Verzichts Deutschlands auf jegliche Ansprüche an die Nachbarn. Natürlich wird erst die Geschichte zeigen können, wie sich die Ereignisse auf dem europäischen Kontinent nach der Vereinigung Deutschlands entwickeln werden. Doch kann man heute mit Überzeugung sagen, daß sich das Fundament des gesamteuropäischen Hauses gefestigt hat. Nur läßt die Frage danach, wann wir endlich damit beginnen, die Ordnung in unserer sowjetischen Wohnung gründlich zu festigen, keine Ruhe.

Kriegsfolgen beseitigt

Der Fall Deutschland war wahrscheinlich eine der abartigsten Folgen des Kalten Kriegs nach dem Zweiten Weltkrieg: Eine der stärksten Wirtschaftsmächte durfte auf der internationalen Bühne auftreten, wurde aber gleichzeitig dazu gezwungen, die reiche Hälfte eines Landes zu sein, dem die wirkliche Entscheidungsfreiheit über seine Zukunft verweigert wurde. Die andere Hälfte versuchte unterdessen, sich ein halbes Jahrhundert lang und ohne viel Erfolg als Nation zu legitimieren und zu etablieren. Die neue internationale Ordnung hat die Vernunft zurückgebracht. Wenn die Deutschen am 2. Dezember an die Urnen gehen, üben sie ihr Stimmrecht nicht nur als Bürger eines Landes aus, sondern als Angehörige eines Staates, der nach 45 Jahren seine volle Souveränität zurückerlangt hat.

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