Gates-Stiftung in Afrika: Das Ende der Grünen Revolution?

Bill Gates will industrielle Landwirtschaft und Hybridsaatgut fördern. Er­zeu­ge­r:in­nen kritisieren den Ansatz. Es geht ums System.

Landarbeiter erntet Mais

Nicht nur Pflanzen, sondern auch Saatgut ernten: Landarbeiterin in Südafrika Foto: Zoonar/picture alliance

BERLIN taz | Kurz vor Weihnachten besuchte der Mäzen und Unternehmer Bill Gates Kenia mit „Geschenken“ für den afrikanischen Kontinent. In Nairobi kündigte er an, zusätzlich zu den laufenden Programmen 7 Milliarden US-Dollar in vier Jahren in Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter und Landwirtschaft in Afrika investieren zu wollen.

Unweit von Nairobi am Horn Afrikas herrscht derzeit die schlimmste Hungerkrise seit 40 Jahren. Ausgelöst von schweren Dürren, verschlimmert durch den Klimawandel, ist die Hungerkrise aber auch eine Krise des Handels- und Ernährungssystems.

Afrikanische Bauern und Bäuerinnen, organisiert etwa in der Bewegung La Via Campesina oder dem Bündnis für Ernährungssouveränität in Afrika (Afsa), machen auch die Strategien von Entwicklungsorganisationen wie der Bill and Melinda Gates Foundation für fehlgeleitete Politik verantwortlich.

Bill Gates investiert schon lange in eine Umstrukturierung der Landwirtschaft in Afrika. In Nairobi gründete seine Stiftung zusammen mit der Rockefeller Stiftung 2006 die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (Agra). Ziel war es, den Hunger in Afrika zu reduzieren.

1 Milliarde Dollar für mehr Produktion

Die „Grüne Revolution“ bezieht sich dabei auf Produktionssteigerung. Damit würden einerseits mehr Nahrungsmittel zur Verfügung stehen und auf der anderen Seite die Produzierenden höhere Einkommen erhalten. Um das zu erreichen, sollte Agrobusiness vorangetrieben werden: industrielle Landwirtschaft mit Einsatz von Dünger, Pestiziden und „verbessertem“ Hybridsaatgut. 1 Milliarde US Dollar hat Agra in 15 Jahren in diese Ziele investiert.

Auf dem Podium in der Aula der Universität von Nairobi fasst Bill Gates diese Strategie mit seinem Besuch bei Bäuerin „Mary“ im Süden Kenias zusammen. Mary habe ihre Erträge durch dürre-resistente Samen erhöhen können und besitze „hochproduktive Hühner“, so Gates: „Sie wissen: große Eier, viele Eier, gute Gesundheit, gutes Fleisch.“

Er schwärmt zudem von technologischen Lösungen, um in Zukunft die Produktion zu steigern. Gemeint sind Satelliten, die Wetterdaten senden, digitales Sammeln von Preisinformationen, Sensoren die Böden analysieren und Drohnen, die Pflanzenwachstum untersuchen.

Die Kritik an dieser Strategie ist vielfältig und beständig. „Agra verbreitet die Idee, dass afrikanische Bauern nicht genug Nahrung produzieren, weil sie nicht genug chemische Düngemittel verwenden“, sagt Afsa-Koordinator Million Belay in einem Pressestatement. Der Einsatz dieser Chemikalien habe vielerlei Konsequenzen: „Es bedeutet die Verschmutzung der Böden, die Abhängigkeit der Landwirte von externen Inputs, die Gefährdung der Gesundheit von Landwirten und Verbrauchern, die Verletzung des Rechts der Landwirte auf Nahrung und Anfälligkeit für den Klimawandel.“

Einfluss auf nationale Gesetze

Kri­ti­ke­r:in­nen werfen Agra landwirtschaftliche Praktiken vor, die schädlich für Umwelt und Biodiversität sind, etwa durch den Einsatz von chemischem Dünger und Pestiziden sowie Anbau in Monokulturen. Agra habe den Anbau von Mais vorangetrieben und Ackerfrüchte vertrieben, die nährstoffreicher und klimaresistenter seien, wie Hirse und Sorghum

Auch der Einsatz von Hybridsamen ist umstritten. Denn der von den An­baue­r:in­nen selbst aus den Pflanzen gewonnene Samen für die nächste Aussaat bringt keine oder nur wesentlich schlechtere Erträge. So müssen sie wieder neues Saatgut kaufen, zu dem meist auch noch synthetischer Dünger und Pestizide gehören. Damit werden die Er­zeu­ge­r:in­nen abhängig von den Herstellern des Saatguts.

Als problematisch sehen die Bäue­r:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen aber vor allem den Einfluss von Agra auf nationale Gesetzgebungen. Denn dieser ist erklärtes Ziel von Agra. Im jüngsten Bericht von 2022 schreibt die Organisation, sie habe insgesamt 72 Reformen in Afrika unterstützt, die einen „Beitrag zum Wachstum von Unternehmen und Systemen“ leisteten. Aus den Zwischenberichten von 2020 geht hervor, wie Agra bei Saatgut- und Düngemittelgesetzen etwa in Burkina Faso und Ghana mitgewirkt hat, wo auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als Agra-Partner investiert.

Die Gesetze vereinfachen etwa die Zulassung von chemischen Düngemitteln, Pestiziden und Hybridsaatgut oder auch gentechnisch veränderten Organismen. Das Recht der Landwirt:innen, Samen aus ihren Pflanzen wiederzugewinnen und sie zu tauschen, ist ein großes Streitthema. „Die Reformen fördern das Geschäft mit diesen kommerziellen Inputs“, erklärt Frederik Mousseau vom Oakland Institute, das seit vielen Jahren zu Agra recherchiert.

Keine Verbesserung der Produktion oder Einkommen

In einer Studie von 2020 kamen mehreren deutsche Entwicklungsorganisationen sowie Mitglieder von Afsa zu dem Schluss, dass die Agra-Strategie auch nicht zu Produktionssteigerung geführt hat. In einer weiteren Untersuchung von 2021, in der sie Daten von Agra selbst auswerteten, fanden die Au­to­r:in­nen außerdem, dass viele Bauern und Bäuerinnen in AGRA- Projekten keine Einkommen oberhalb der Armutsgrenze erreichten. Auch Agra erkennt an, dass für 9 Millionen von den 10 Millionen Kleinbauern mit denen Agra arbeitet, keine ausreichenden Einkommen oder Ernährungssicherheit erreicht wurden, führt dies allerdings auf „externe Faktoren“ zurück.

Auch die Kritik an den Saatgutsystemen weist Agra zurück. Eine Sprecherin sagte der taz, die Organisation unterstütze „konventionelle Züchtungsmethoden, die auf die Bedürfnisse der lokalen Umgebungen afrikanischer Landwirte eingehen“. Außerdem würden bei der Entwicklung von Saatgut die Landwirte mit einbezogen. „Dadurch wird die lokale Vielfalt bewahrt und werden die Vorlieben der Landwirte berücksichtigt.“ Im Hinblick auf Reformen erklärte die Sprecherin, Agra unterstützte nationale Prioritäten, die Landwirten und Unternehmen helfen, in Landwirtschaft zu investieren.

Im September strich Agra den Begriff „Grüne Revolution“ aus dem Namen. Stattdessen wurde die Tagline „Sustainably Growing Africa's Food Systems“ hinzugefügt und die neue 5-Jahres-Strategie vorgelegt. Diese baue auf den „bisherigen Erfolgen“ auf, aber Agra habe die „Marke aufgefrischt“, erklärt die Sprecherin. Konkret gehe es Agra vermehrt um Nachhaltigkeit, um dem Klimawandel zu begegnen. Im Zentrum stünden daher Ernährungssysteme für die „drei Ps – People, Planet, Profit“ – also Menschen, Planet und Gewinn.

Agra hat sich das Ziel gesteckt, dass 30 Prozent der Bauern und Bäuerinnnen in ihren Projekten nachhaltige Landwirtschaft betreiben. Das findet Afsa-Wissenschaftler Mousseau nicht sehr ambitioniert. Auch kritisiert er die fehlende Definition von „nachhaltig“. Die Strategie knüpft an die letzten Jahre an: Saatgutsysteme entwickeln, Wettbewerbsfähigkeit von Produkten auf dem Markt verbessern, Politische Reformen unterstützen. 40 Prozent der Ziellandwirte sollen „verbesserte Sorten annehmen, einschließlich klimafreundlicher und nährstoffreicher Sorten“.

Forderung nach Ernährungssouveränität und Agroökologie

„Auch in der neuen Strategie geht es sehr stark um Investitionen in kommerzielle Saatgutsysteme, die überwiegend von großen Konzernen produziert werden, was die Saatgutsysteme der Landwirte untergräbt“, sagt Mousseau. Während Europa oder die USA die eigenen Land­wir­t:in­nen stark durch politische Maßnahmen wie Subventionen unterstützen, würde Agra afrikanischen Ländern raten, Regierungsinterventionen darauf zu konzentrieren, Düngemittel- und Saatgutunternehmen Marktzugang zu ermöglichen, findet er.

Afsa oder La Via Campesina verfolgen einen anderen Weg, um Hunger langfristig zu bekämpfen. Sie wollen die Souveränität von Er­zeu­ge­r:in­nen stärken, einen sicheren Zugang zu Land, Wasser und Samen. Das beinhaltet den Schutz vor Abhängigkeit von Konzernen und Investoren oder billigen Lebensmittelimporten. Außerdem wollen sie eine Landwirtschaft, die an die lokalen Ökosysteme angepasst ist. Das Stichwort ist Agroökologie.

„Wir müssen uns um unsere Böden für künftige Generationen kümmern“, sagt der kenianische Bauer Ferdinand Wafula in einer Pressekonferenz von Afsa zur Agra-Strategie. Biodünger, etwa durch das Recyceln lokaler Abfälle oder Tiermist, kombiniert mit Asche und Gesteinsmehl seien zum Beispiel funktionierende organische Dünger-Alternativen. Sie belebten die Böden und führten wichtige Mikroorganismen wieder ein, die das Bindeglied zwischen Pflanzen, Insekten und der Sonne seien, sagt Wafula. „Wir brauchen keine chemischen Düngemittel, unsere Böden sind vielfältig und wir haben das Wissen darum.“ Er fordert, dass afrikanische Regierungen und Geldgeber mehr Mittel für diese Alternativen bereitstellen sollten.

Deutschland war bislang über das BMZ und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein wichtiger Geldgeber und Partner von Agra. Evaluierungen zur weiteren Partnerschaft laufen derzeit noch. „Unsere Zusammenarbeit mit Agra steht aktuell auf dem Prüfstand. Messlatte für künftige Unterstützung muss sein, ob und wie Agra zur sozial-ökologischen Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme beitragen kann“, wiederholte ein Sprecher des Entwicklungsministeriums im Gespräch mit der taz Aussagen von Ministerin Svenja Schulze vom Februar.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.