■ Gastkommentar: Bremen nicht zu halten
Jeder weiß es, keiner sagt es. Selbst die kluge Arbeiterkammer, deren Analysen das Profundeste sind, was Bremen derzeit über sich selbst zu sagen hat, überläßt die Schlußfolgerung dem Publikum: Bremens Selbstständigkeit ist nicht zu halten.
Daß trotz der in Karlsruhe erstrittenen Bonner Rettungsgelder die gigantische Staatsverschuldung am Ende noch größer sein wird als am Beginn der vermeintlichen Sanierung weiß inzwischen auch der Finanzsenator. Austerity-Programme eines Zentralrechners könnten die Haushalte aufstellen und verteilen. Bremens Tunnel bohrt sich in die Unendlichkeit. Das immerwährende Siechtum dieser Stadt rührt dabei kaum einen in der übrigen Republik, weil immer weniger wissen, daß es Bremen gibt. Der Senat hat das inzwischen schriftlich. Was sollte auch Aufmerksamkeit auf Bremen lenken? In diese triste Öde kann auch Politik keine Farbe bringen, weil niemand da ist, den man schuldig sprechen könnte und niemand, der den Ausweg wüßte. Damit Bremens Schulen nicht weiter zerbröseln, fällt auch Grünen nichts anderes als neue Schulden ein. Die erhoffte Wirtschaftswende mit neuen Firmen auf neuen Gewerbegebieten macht das Dilemma deutlich: Der mittelstandsorientierte niedersächsische Speckgürtel wird Bremen ständig unterbieten. Und jeder, der hier investiert, hat jeden Vorteil, den ein paar tausend Meter weiter Bremen bietet, nur billiger. Ein Wirtschaftsraum, bei dem Stadtgrenzen Wirtschaftsgrenzen sind, ist alberner Anachronismus. Natürlich muß die Region neu geordnet werden. Selbst wenn es zu bedeutenderen Industrieansiedlungen im Stadtstaat käme, so ist die Faustregel, daß auf rund der Hälfte der neuen Arbeitsplätze Niedersachsen sitzen. Bei der Ansiedlung von Mercedes-Benz hat Bremen ausprobiert, wie mit seinem Geld dem Umland geholfen wird. Die Steuergesetzgebung wieder umzukehren, damit am Arbeitsplatz gezahlt wird, ist Illusion.
Politik, die sich im Wettbewerb erschöpft, immer rigider zu sparen, bewirkt nichts anderes als immer größere Verelendung der Stadt. Es ist nicht so sehr der Spareffekt beim Wegfall von Landesbehörden und Landesparlament, der die Neuordnung erzwingt. Die Wirtschaft ist auch Bremens Schicksal. Verblüffend, daß die Handelskammer an städtischer Enge festhält und keine neue Diskussion wagt. Da sitzen doch nicht nur Provinzler. Auch Bierbrauer denken inzwischen global.
Die Identität Bremens ist natürlich nicht an seine Eigenstaatlichkeit gebunden. Frankfurt, Köln, Nürnberg, Lübeck waren stolzere und bedeutendere Freie Städte als Bremen, daß de jure erst 1806 die wirkliche Eigenstaatlichkeit erlangte. Der Landesstatus prägt Bremens Armut, nicht sein Selbstbewußtsein. Eine moderne Großstadt als wirkliches Zentrum einer Großregion in einem immer noch überschaubaren Flächenstaat, kann ihren Einwohnern mehr Bürgerstolz vermitteln als der eingeschnürte Stadtstaat. Das Grundgesetz verhindert zur Zeit die Neuordnung des Bundesgebiets. Das muß nicht so bleiben. Bremens Politik könnte offensiv werden und seine unabwendbare eigene Not zum Anlaß nehmen für die Forderung nach Neuordnung der Ländergrenzen. Solange nichts dergleichen geschieht, hat Bremen einen Grund mehr, die finanzielle Hilfe von Bund und Ländern einzufordern. Und schließlich käme wieder Drive in Bremens Politik, wenn die Abkapselung fiele. In die heutige Öde wollen kaum noch originelle Köpfe. Wer ist noch gegen Neuordnung?
Horst-Werner Franke, Senator a.D.
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