Gastkommentar zu Datenskandal: Den Vorfall lieber nüchtern betrachten
Die Daten der Angriffsziele waren offenbar leicht zu bekommen. Deswegen sollte jetzt über Schutz statt Gegen-Hacking diskutiert werden.
Persönliche Betroffenheit führt in der Politik gerne zu Superlativen. So erklärte der linke Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch das große Datenleck zum „Anschlag auf die Demokratie“. Justizministerin Katarina Barley (SPD) sprach davon, dass die Urheber „das Vertrauen in unsere Demokratie beschädigen“ wollten. Die Bild-Zeitung rief einen „Cyber-Angriff auf Deutschland“ aus, sprach vom „größen Datenklau der deutschen Geschichte“ und spekulierte, dass die zuständigen Stellen den US-Geheimdienst NSA um Hilfe gerufen hätten.
Man sollte den Vorfall lieber nüchtern betrachten, wenn man etwas aus der Sache lernen will: Offenbar gelang es, mit recht trivialen Mitteln, persönlichste Daten von Politikern und Prominenten zu ergattern – und dann weitflächig im Internet zu veröffentlichen. Es braucht für den Daten-Gau also keine elaborierten staatlichen Hackergruppen, wenn die Angriffsziele sowieso mit heruntergelassenen Hosen im Netz stehen.
Es muss deswegen zum Basiswissen in der digitalen Demokratie gehören, dass Passwörter komplex sein sollten und dass wir für jeden Account ein anderes Passwort brauchen. Zur Verwaltung der Passwörter braucht es Passwortmanager, Festplatten und alle Kommunikation sollten standardmäßig verschlüsselt werden. Politik muss endlich diese digitalen Kompetenzen gezielt fördern und gleichzeitig die Industrie zu regelmäßigen Sicherheitsupdates ihrer Software verpflichten.
Zur digitalen Demokratie gehört aber auch, dass unsere Daten nicht ständig als das „Öl der Zukunft“ angepriesen oder Datenschutz als Hemmnis dargestellt wird. Noch im Dezember hatte die Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär (CSU), eine Aufweichung des Datenschutzes im Gesundheitswesen gefordert. Nach dem Datenleck klingt dies nun endlich so absurd, wie es ist.
Markus Reuter ist Redakteur bei netzpolitik.org, einer Plattform rund um das Thema digitale Freiheitsrechte. Er beschäftigt sich dort mit den Themen Datenschutz, Grundrechte, Fake-News und Social Bots sowie Soziale Bewegungen.
Statt unsinnigen Forderungen nach einem offensiven Gegen-Hacking, sind nun Lösungen gefragt, die in Richtung Schutz und Defensive zeigen. Wir müssen uns dabei auch die Frage stellen, wie wir den Überwachungskapitalismus mit seinen Datenkonzernen in den Griff bekommen. Letztlich ist es also gut, dass wir eine Debatte zum Thema Datensicherheit haben – auch wenn sie in diesem Fall zu Lasten der Betroffenen geht. Damit sich solche Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen, muss die Politik handeln und Datenschutz endlich als Chance begreifen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn