: Gasexplosion: Teure Verantwortung
■ Wer zahlt für die Millionen-Schäden im Geschwornenweg? / Baufirma hat sich bereits neu gegründet – unter anderem Namen
Am 4. Dezember diesen Jahres, nur wenige Tage nach dem Trauergottesdienst für die Opfer der Gasexplosion im Geschwornenweg, wurde in das Handelsregister des Bremer Amtsgerichts ein neues Unternehmen eingetragen. Der Name: „Herdejürgen Tiefbau GmbH“. Adresse und Telefonanschluss sind identisch mit denen der „Herdejürgen GmbH“, der Firma, deren Baggerfahrer nach polizeilichen Erkenntnissen das Unglück, bei dem zwölf Menschen starben, verursacht hat.
Alles deutet darauf hin, dass die Neugründung ein Versuch ist, auch bei hohen Regressforderungen handlungsfähig zu bleiben. Bei der Explosion des Seniorenwohnhauses in der Neustadt sollen Sachschäden bis zu 15 Millionen Mark entstanden sein. In der Versicherungsbranche schätzt man, dass dieser Betrag die Deckungssumme der Betriebshaftpflichtversicherung des Bauunternehmens bei weitem übersteigt. Durch die Neugründung könnte die Firma bei etwaigen Vermögenspfändungen trotzdem ihre Geschäfte fortsetzen. Ein häufig zu beobachtendes Verfahren, um drohende Zahlungsunfähigkeit zu umschiffen, so ein Versicherungsmann. Und offenbar völlig legal. Die Herdejürgen GmbH verweigert jegliche Auskunft zu dem Thema.
Indes: Es ist nach Auskunft der Bremer Staatsanwaltschaft nach wie vor ungeklärt, wer für die Explosion letztendlich rechtlich die Verantwortung trägt. Die Ermittlungsakte könne man erst in „ein paar Monaten“ schließen, heißt es. Einige der beteiligten Versicherer rechnen sogar damit, dass erst sehr viel später feststehen wird, bei wem sie sich ihr an die Versicherungsnehmer ausgezahltes Geld wiederholen können. „So etwas kann Jahre dauern“, sagt etwa Hans-Werner Haumann, Mitarbeiter der am Schadensersatz mit über einer Million Mark beteiligten ÖVB. Das Ganze sei ein „ziemlich komplizierter Knoten“.
Auch Axel Hausmann, Sprecher der Securitas-Versicherung in Bremen, rechnet mit langwierigen juristischen Auseinandersetzungen. Schließlich ist da nicht nur das Bremer Bauunternehmen, für das sich die Versicherer interessieren. Die Securitas etwa, die nach eigenen Angaben in der Nachbarschaft des zerstörten Hauses Gebäude-, Glas- und Einrichtungsschäden von mehr als 1,2 Millionen Mark reguliert oder bereits reguliert hat, legt ihr Hauptaugenmerk auf die Betreiberin der Gasanlage, die swb enordia.
Es gebe Gerichtsurteile in vergleichbaren Fällen, bei denen der Leitungsbetreiber als haftungspflichtig erkannt worden sei, sagt Sprecher Hausmann dazu – so etwa 1986 in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm. In diesem Fall habe ein Baggerfahrer falsch gebuddelt, was letztendlich zur Explosion eines Hauses geführt habe – allerdings ohne Todesopfer. Trotz fehlerhaften Baggerns sei jedoch der Betreiber in Haftung genommen worden.
Ähnliches hat auch der für „Sachschäden“ zuständige ÖVB-Mitarbeiter Haumann zu berichten: Im Haftpflichgesetz gebe es eine Regelung, die „Haft ohne Verschulden“ für den Betreiber vorsehe. Begründet werde dies mit der Gefahr, die durch die bloße Existenz beispielsweise einer Gasversorgungsanlage entstehe. Von einer ähnlichen „Gefährdungshaftung“ seien auch Besitzer von Automobilen betroffen – sofern etwas passiert.
Der Versicherungsmann rechnet jedoch damit, dass es am Schluss eine „Mischlösung“ geben wird. Das heißt: Nicht nur die Baufirma wird in Regress genommen, sondern auch die swb AG. Diese ist überdies Mehrheitsgesellschafterin der Hansewasser, die die Kanalbauarbeiten im Geschwornenweg in Auftrag gegeben hatte – laut Haumann ebenfalls eine mögliche Kandidatin. Und was ist mit dem Baggerfahrer? „Ich kann mich an keinen Regress entsinnen, bei dem wir das schwächste Glied in der Kette finanziell zur Verantwortung gezogen haben“, sagt der ÖVB-Mitarbeiter – unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung.
Die swb-Sprecherin Marlene Odenbach sieht den Fall naturgemäß ganz anders gelagert. „Das ist nicht unser Bagger gewesen“, sagt sie. Deswegen sei klar die beteiligte Baufirma haftpflichtig und nicht die swb. Odenbach nimmt an, dass sich die Versicherer zuerst an die Herdejürgen GmbH wenden werden. Und wenn sie dort erfolglos blieben, dann sei vermutlich die swb an der Reihe.
hase
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