■ Störzeile: Gar nicht peinlich
Wieso denn peinlich? Nicht alles, was peinlich aussieht, muß einem auch peinlich sein. Die kleine Kluft, die sich da zwischen Verfassung und Verfassungsschutzgesetz auftut, ist keineswegs eine postmodern-beliebige Auslegung liebgewonnener, in Paragraphen verankerten Grundsätze.
Erstens können die Mütter und Väter unserer Hamburger Verfassung unmöglich gewollt haben, daß ein gewisser Manfred Mahr von der Grün-Alternativen Liste den Kontrollausschuß ständig aufschreckt. Zweitens kann keiner im Ernst verlangen, daß unsere zum Wohle der Hansestadt sich aufopfernden FeierabendparlamentarierInnen vorher durchlesen, worüber sie nachher abstimmen. Ganz zu schweigen davon, mit der Verfassung intim zu werden.
Drittens vergessen diejenigen, die Peinlichkeit schreien, daß uns soeben das Konfliktlösungsmodell der Zukunft geboren wurde. Bei genauerem Hinsehen könnten mit einem Blick in die Verfassung womöglich alle Konflikte der krisengebeutelten Hamburger Regierung gelöst werden. Verstößt vielleicht die geltende Bezirksverwaltung gegen die Verfassung? Ist das Wählen ohne Wahlkreise mit ihr vereinbar? Andererseits: Darf man einem Bürgermeister Widerworte geben, oder könnte sich das als Landesverrat herausstellen?
Und falls die SPD weiterhin so viele Wählerstimmen verlieren sollte, ergibt eine Prüfung möglicherweise, daß von der Fünf-Prozent-Hürde in der Hamburger Verfassung eigentlich nirgendwo so ganz deutlich die Rede ist.
Wer da noch von peinlich redete, wäre kleinlich.
Silke Mertins
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