piwik no script img

Ganz schlimme Finger

■ Für die Dandy Warhols sind Heroin und lange Stücke passé, nicht aber supermelodischer Gitarrenpop

Pop, so sagt man, erschließt sich in dreieinhalb Minuten. In einem Lied hat die Essenz zu liegen, von all dem, was eine Band zu sagen hat – und auch die Essenz von all dem, was nicht ausdrücklich gesagt werden soll, aber trotzdem mitschwingt. Es könnte eingeworfen werden, daß das eine arg romantische Vorstellung sei, die übersieht, daß Tracks doch längst die hierarchischen Fesseln der Songstrukturen aufgelöst haben. Ist ja was dran. Aber ihr Korrespondent aus dem Dreieinhalbminutenland weiß von einer Party zu berichten, ausgerichtet von einem durchaus ernstzunehmenden Endzwanziger, der ein nicht ganz dreieinhalbminütiges Stück wieder und wieder auflegte, bis sichergestellt war, daß auch der letzte Gast es mindestens eine Woche nicht aus dem Sinn verlieren würde – Flashbacks. Das Lied ist supermelodischer Gitarrenpop, ist von den Dandy Warhols und heißt „Not If You Were The Last Junkie On Earth“.

Und was für ein großartiges Lied es ist: „I never thought you were a junkie, because heroin is so passé“, singt Courtney Taylor. Ein wunderbarer Grund, gegen Heroin zu sein und die bessere Antwort auf Heroin-Chic, als es moralische Reden von US-Präsidenten je sein könnten: Es ist so passé. In den USA, wo die Band herkommt, erschien das Lied schon im Herbst 1997; heute redet dort kein Mensch mehr von Heroin-Chic. Haben die Dandy Warhols ihn vertrieben? Wenn es so sein sollte, dann auch, weil Courtney Taylor eine Autorität im exzessiven Lifestyle ist. Kaum einer wüßte genauer zu begründen, warum Kokain die Droge seiner Wahl ist. Doch für die kommende Platte ist ein Song namens „White Gold“ geplant, eben über Kokain. Wird es da auch etwas dran zu mäkeln geben? Was bleibt als Droge? Nur noch der Dreieinhalbminutensong?

Bevor nun „Ach Gottchen“ gerufen wird: Courtney Taylor ist natürlich ein schlimmer Finger, aber so schlimm, daß er verantwortungslos eine tödliche Droge verharmlosen würde, ist er auch wieder nicht. Er hat „Not If You Were The Last Junkie On Earth“ geschrieben, weil seine Ex-Freundin, früher ein Model, mit Heroin ihr Leben zerstört hat. Taylor versteht das Lied als Warnung, denn „man nimmt jede Droge anfangs, weil man es cool findet, weil coole Freunde sie nehmen“. Doch das hat er erst erzählt, als das Lied schon gewaltig diskutiert wurde. Denn eigentlich geht es den Dandy Warhols darum, etwas von dem Glamour des englischen Pop in den amerikanischen Rock zu tragen. Und das gelingt ihnen nie so gut wie in den dreieinhalb Minuten, die „Not If You Were The Last Junkie On Earth“ dauert. Felix Bayer Mo, 14. September, 21 Uhr, Logo

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen