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Ganz ohne Putzstreifen

■ Fulminantes am Millerntor: 3:0 gegen Chemnitz Von Kai Rehländer

Nur langsam kommt Carsten Pröpper voran. Eine Umarmung von einem Fan, ein hastig geschriebenes Autogramm und immer wieder eine wuselnde Hand in seinem frisch gefönten Haarschopf. Der Weg von der Umkleidekabine zum Spielerraum, das ekstatische Gefeiertwerden beim Durchqueren des St. Pauli- Clubheims, schien für ihn kein Ende zu finden. Wie schon während des Spiels, des sonnabendlichen 3:0-Erfolges gegen den Chemnitzer FC, schallte ihm aus Fankehlen „Meister Pröpper“ entgegen.

Frei von Putzstreifen erschien den 15 500 Zuschauen die Leistung des Neuzugangs, der bereits in der 7. Minute einen Pfostenschuß von Martin Driller zum 1:0 abstaubte. Festen Einzug in die Fanchoräle erhielt dann der Mann, der von nun an im St. Paulianischen Mittelfeld die Fäden ziehen soll, in der 25. Minute, als seine Hereingabe von Martin Drillers Kopf ins Tor sprang.

Immer wieder gelang es ihm, den ebenfalls heftig gefeierten Markus „Toni“ Sailer so zu bedienen, daß er aufgrund seiner enormen Schnelligkeit und trotz seiner unkonventionellen Spielweise die Chemnitzer Abwehr wie eine fußkranke Rentnercombo erscheinen ließ.

„Endlich gibt es wieder Fußball zu sehen“, freute sich der Anhang des Kiezclubs bereits zur Pause. Die Spieler waren auf einmal die Protagonisten, die Freude auf den Rängen resultierte aus dem Geschehen auf dem Platz und nicht nur als institutionalisierte „Paadie“. „Wir haben bereits in den ersten 25 Minuten die Moral des Gegners gebrochen“, stellte bei der Pressekonferenz St. Pauli-Trainer Seppo Eichkorn eine Spur zu martialisch fest.

Früh jedenfalls wurde die Chemnitzer Elf in ihrem Spielaufbau gestört, die ganze Breite des Spielfeldes genutzt, um auch mal von den Außenpositionen anzugreifen, und schnell von der Verteidigung in den Angriff geschaltet. Zudem demonstrierte Andreas Reincke, der neue Hüter des Millerntors, daß auch Abschläge für Gefahrenmomente (beim Gegner!!) führen können. Auch in sogenannten Standardsituationen war der FC St. Pauli auf einmal gefährlich. Nur knapp strichen die Freistöße von Dirk Zander, der durch seine abgeklärte Spielweise sich ebenfalls als eine Bereicherung erwies, am gegnerischen Gehäuse vorbei.

Vielleicht schon nach den 3:0 durch Martin Driller in der 60. Minute, aber spätestens nachdem dieser Spielstand in souveräner Manier über die Zeit gebracht wurde, gehörte es also auf einmal zur Chronistenpflicht, eine Laudatio auf die fußballerischen Qualitäten der Millerntorequipe zu schreiben. Es war ein Rausch, einer, bei dem sich allerdings alle Beteiligten erstaunlich nüchtern darüber im klaren waren, daß er vielleicht auch nur ein einmaliges Geschenk sein könnte. Es fehlte also das aus den Vorjahren bekannte Fabulieren von einem baldigen Wiederaufstieg.. Die Erinnerung an die nur knapp verpaßte Demission in die Amateurklasse sitzt offenbar noch in den Köpfen des Millerntorvolkes.

Vielleicht aber gibt es in dieser Saison noch mehrere Räusche der balltretenden Art. Schön wär's.

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