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Ganz gewöhnliche Engel

■ Musical über Aids: „Elegies for Angels, Punks and Raging Queens“ von Bill Russell

Ein bunter Teppich hängt auf der Bühne. Dreißig Namen stehen darauf, jeder in einem individuell gestalteten Rechteck, verziert mit bunten Stoffen, gemalten Palmen oder Teddybären oder anderen Erinnerungsstücken. Immer wieder taucht das Wort „Love“ auf – Liebe für an den Folgen von Aids Gestorbene, in deren Andenken dieser „Memorial Quilt“ entstanden ist: Das Musical Elegies for Angels, Punks and Raging Queens ist angelehnt an das 1982 gegründete „The Names Project Aids Memorial Quilt“. Am Montag war in der Dreieinigkeitskirche die deutsche Erstaufführung, die der Engländer Christopher Holt inszenierte.

Die Schauspieler, die teils in prächtigen Fummeln, teils in stinknormaler Kleidung auftreten, erzählen auf englisch oder auf deutsch aus der Sicht der Verstorbenen. Sie, die unterschiedlichster Herkunft und Alters sind, berichten von ihrem Leben mit der Krankheit, von ihren individuellen Leidensgeschichten, vom Tod. Sie treten als eine Gemeinschaft auf, obwohl sie vor ihrer Infizierung mit Aids meist nicht mehr miteinander verband, als vielleicht die gleiche Schuhgröße oder die gleiche Haarfarbe. Es gibt kein Charakteristikum, das für alle zutrifft, sie lassen sich nicht in eine bestimmte Gesellschaftsgruppe einordnen.

Die Jüngste mag zehn Jahre alt sein. Kadija wurde mit Aids geboren. Ihre Eltern wollten oder konnten sich nicht um das kranke Kind kümmern, es hat nie ein Leben außerhalb des Krankenhauses kennengelernt. Kadija erzählt von ihrem Glück im Unglück: Auf der Station gab es viele, die sich um sie kümmerten, mit ihr spielten und ihr haufenweise Geschenke brachten. Anders erging es der Karrierefrau Claudia. Als in ihrer Firma bekannt wurde, daß sie sich infiziert hatte, zeigten ihre Mitarbeiter und vermeintlichen Freunde erstmal „große Betroffenheit“. Später aber, als die Krankheit ausbrach, blieb ihr niemand außer der Sekretärin, die „einfach für sie da war“ und ihr „das Sterben sehr viel einfacher machte“. Engel dieser Art sind in der Inszenierung häufiger zu finden. Es sind keine göttlichen oder himmlischen Wesen, sondern sie verbergen sich in ganz gewöhnlichen Menschen.

„Elegies“ (Klagelieder) bekommt man allerdings nicht zu hören. Weder von den Schauspielern, noch von den vier Sängerinnen und Sängern, die mit den von Jane Hood komponierten Songs einen mitreißenden musikalischen Rahmen geben.Martje Schulz

Weitere Benefizvorstellungen zugunsten von Hamburg-Leuchtfeuer am 31. 10., 7. 11. und 14. 11., jeweils 19.30 Uhr, Dreieinigkeitskirche St. Georg, St. Georgskirchhof

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