DAS IST KREUZBERG : Ganz gemütlich
Die Gemütlichkeit ist da, der laue Sommerabend auch: Wir sitzen auf der anderen Straßenseite gegenüber unserem Garten, weil hier die Mücken nicht hinkommen. Trinken das kühle Bier, das die Gemütlichkeit mitgebracht hat, bewundern unser Haus, das leider nicht unseres ist, und den schönen Garten davor.
Einst lag er im Schatten der Mauer. Oft radeln Touristen die Straße entlang mit einem Guide, der ihnen erklärt, an welcher historischen Lage wir hier wohnen. Manchmal biegt auch ein Bus im Schritttempo in die Straße und zeigt den glotzenden Insassen, wie wir im Garten Würste grillen. Der einst improvisiert asphaltierte Ersatzgehweg, der sich wie eine Narbe durch die Gärten zieht, ist längst mit Gras und Unkraut überwachsen.
Auf unserem Teil sprießt der neu gesäte Rasen gerade so prächtig, dass sich einer drum kümmern müsste. Davor stehen hässliche Steinklötze, die der Vermieter freundlicherweise „zur Aufwertung“ spendierte und die die Nachbarin mit Blumen zu verbergen versucht. Ein anderer Nachbar pflanzte Haselnussstauden, was kurzfristig zum Zwist führte, doch nun halten sie die Hunde fern und grenzen den Garten vom Gehweg ab.
Ein schöner Garten, beschließen wir. Gerade heute, gerade jetzt, gerade hier. Wären nur die Mücken nicht. Die Gemütlichkeit verabschiedet sich, als eine Gruppe Jungs um die Ecke kommt. Auf den zweiten Blick sind die Jungs nicht mehr ganz so jung. Doch da hat sich einer bereits geschmeidig aus der Gruppe gelöst, ist über die Haselnussstauden gestiegen und will den Rucksack des Mannes neben mir mitnehmen. Dieser springt auf, rennt über die Straße zu ihm hin und fragt empört, was er da mit seinem Rucksack mache? Der potenzielle Dieb meint nur cool mit Blick auf sein Telefon, als ob er gerade noch Mails checken müsste: „Hey Alter, pass auf deine Sachen auf, das ist Kreuzberg.“ GINA BUCHER