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Ganz Sau und doch frei

■ Cora Frost und ihr Pianeur Gerd Thumser gastieren im BKA

Während noch die zahlenden Gäste um die wenigen Tischchen im Saal streiten — Doppelreservierungen bleiben eine Spezialität des BKA! —, spielen die Lautsprecher zur thematischen Einstimmung bereits alle Chansongrößen dieses tontragenden Jahrhunderts ab: Zahra Leander läßt wieder Wunder geschehen, Marlene Dietrich gibt sich lasziv und Milva frei. Da kippt die melodische Einheitssoße um jene kleine Nuance, die nur dem Glücklichen auffallen kann, der seinen reservierten Platz bereits erfolgreich verteidigt hat. Monoton dringen jetzt durch das Gewühle und Gezeter im Publikum lyrische Wortfetzen, kaum bemerkte Bruchstücke eines zögerlichen Anfangs: »Sie schaut nochmal in den Spiegel«, säuselt es aus den tiefschwarzen Boxen, und kaum verständlich, »...stellt das Make-up auf den Tisch zurück...« — man mag sich jetzt schon vorstellen, was gerade backstage passiert —, »...dann sagt sie...« — das Publikum hat immer noch nichts begriffen —, »...es ist soweit!«

Licht aus, Spot an — Ruhe kehrt ein auf den nicht eben billigen Plätzen, als ein korpulenter Herr im zart rosafarbenen Anzug auf die Bühne tritt und uns erklärt, daß wir heute abend bei einer attraktiven Frau zu Gast sind (aha!), die sich plötzlich zum Singen entschlossen hat (oho!) und deren Improvisationen uns im folgenden in den Bann nehmen werden (soso!) — eben ein rechter Star! (Applaus!)

Dann torkelt die Primadonna selbst auf die Bühne: Links zwei Flaschen Schampus, rechts die stillosen Stilkelche, wankt sie etwas unsicher auf den 7 1/2cm-Pumps herein — so weit, wie es eben geht. Verliert die Flaschen, verliert das Glas — aber niemals die Contenance — und hebt, endlich das Mikrophon erreichend, an zu einem Chansonabend der Extraklasse. »Nichts, was ich lieber mag«, heißt es im weinseligen Auftaktsong, »als die Blaue Stunde an einem grauen Tag.« Und hat sie nicht recht? Sind nicht von 24 Stunden täglich meist 23 grau in grau? Weil das so ist, und weil man sich deshalb täglich wenigstens einen winzigen Augenblick schön blau saufen sollte, gibt uns die Diva, die weder wirklich besoffen noch ernsthaft eine Diva ist, eine etwas spät angesetzte blue hour, einen Abend zwischen Melancholie und Wahnsinn, Wohl und Weh, Klamauk und Klasse. »Ruck zuck ist die Lippe dick« heißt ihr neues Nummernprogramm, und eine dicke Lippe riskieren Cora Frost und Gerd Thumser immer wieder gern. Sie haben sich einen Ritt durch die Kulturgeschichte des Chansons vorgenommen, mit Versatzstücken aus allem, was die Lautsprecher (zum Vergleich?) bereits vorab verkündet hatten, mit viel Respektlosigkeit und dieser Art von musikalischer Klasse, die einem nicht sofort ins Ohr stechen muß, um ihre Bannwirkung zu entfalten.

Kaum hat die Diseuse sich zum Abschluß ihres blauen Liedes theatral auf den Boden geschmissen, da schlägt sie sich auch schon entstaubend auf die Schenkel und plaudert, noch ein wenig nach Atem ringend, vom Leben, der Liebe und dieser Schattenwelt des Varieté, in der nicht nur der Mampe halb und halb ausgeschenkt wird. Das Leben — Halbwelt! Und die Chanconette? Die singt und plaudert immer mittenmang durch alle Stationen dieses Wechselspiels. Ganz Dame, setzt sich hier in Szene, da in die Nesseln, kreiert ihren Typ, verkauft ihre Stimme, pflegt ihr Image — und ihr Make-up.

Die Chanson-Chargen und Chansonette-Typen — sie lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Da gibt es die »Verdampfte«, die frühe Zahra, die späte Dietrich. Ingrid Caven gehört noch dazu und natürlich die wilde Milva. »Und wenn ihr euch erbrecht, mir ist es recht«, heißt das Motto dieses Typs, und schon streift Cora Frost die echten Perlen vom Hals und dafür ein Büschel falsches Achselhaar über. Perücke auf, Spot an, und schon ist die rassige Italienerin geboren. »Ganz Sau und trotzdem fra-i zu sein« wünscht sie sich, fällt in die bühnenwirksame Wildheit eines Sorbas-reifen Sirtaki und dann noch dem armen Pianisten Thmuser auf den Schoß. »Ja, das war das...«, räuspert sich die falsche Milva, rappelt sich auf, entledigt sich des roten Achselfells und fährt fort in der Chansonetten-Kunde, in der es mal »französelt, bis es bröselt«, mal im Claire- Waldorff-Stil berlinert, daß sich die BKA-Balken biegen. Es ist ein permanenter Tempowechsel, eine gekonnte Stilbruchkunst, in der so ziemlich alles Platz hat, vom anrührenden jiddischen Liedgut über die unvergessene Blandine Ebinger bis hin zu einem hämischen Seitenhieb auf den Saft- und Kraft-Selbstdarsteller Konstantin Wecker. »Ruckzuck ist die Lippe dick« reicht aber nicht nur von Brecht bis Holländer, sondern auch von wunderbar hintergründiger Komik bis zur grauenhaft abstürzenden Groteske. Ohne Hemmungen klamauken und kaspern sich nämlich die Frost und ihr Pianeur durch das zweistündige Programm, geben abgesehen von ihrer Sangeskunst so ziemlich alles — und am liebsten sich selbst — der Lächerlichkeit preis.

Wie sie es wohl schaffen, daß das Publikum ausgerechnet zu Brecht in rhythmisches Klatschen verfällt, daß der Saal am Ende beim offerierten »Holladi, hollada« reflexartig zum karnevalistischen Klatschmarsch greift, während die Diseuse sich stöhnend am Boden wälzt? Sie haben schon verdammt viel drauf, die Frost und der Thumser, dieses ungleiche Paar mit dem Gleichklang der Klasse — es ist ein sehenswertes Programm. Aber um wieviel wird es erst noch spannender werden, wenn sie demnächst noch mehr eigenes Profil gewinnen, sich allein auf die bereits jetzt erkennbare gesangliche und darstellerische Größe der Diseuse besinnen? Dann irgendwann werden sie den Sirtaki und die Zahnpasta auf dem Klavier nicht mehr nötig haben. Was dieser Tage im BKA zu sehen ist, ist wirklich großartig komisch, in einigen Jahren aber könnten die Frost und der Thumser wirklich großartig sein. Vielleicht wird ja einmal ein Wunder geschehen... Klaudia Brunst

BKA, Do-So 20.30 Uhr, Mehringdamm

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