■ Zum Fall der mit Abschiebung bedrohten Somalierin: Gang der Dinge, exterritorial
„Pervers offensiv“ (Klaus Toppmöller) habe die Frankfurter Eintracht am Sonnabend gegen die Bayern gespielt – zur Freude der Fußballfreunde. Pervers offensiv hat der Bundesgrenzschutz in der vergangenen Woche den Begriff „exterritorial“ interpretiert – zum Leidwesen der Flüchtlinge aus dem sogenannten Flughafenverfahren. Als „exterritorial“ galt nach der Interpretation der Bundesregierung bislang nur ein Gebäudekomplex auf dem Frankfurter Rhein-Main- Flughafen. Dort werden seit Juli 1993 all die Flüchtlinge kaserniert, die ohne Papiere und/oder aus angeblich sicheren Drittstaaten auf Rhein-Main ankommen. Flüchtlinge im sogenannten Flughafenverfahren sind qua Definition nicht in die BRD eingereist – und können so auch keinen ordentlichen Asylantrag in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen stellen.
Weil die leidgeprüfte Somalierin, die heute von Rhein-Main aus in den Sudan abgeschoben werden soll, in der vergangenen Woche in die Uniklinik im Frankfurter Stadtteil Niederrad eingeliefert werden mußte, interpretierte der BGS die beiden Worte „exterritoriales Gelände“ neu: Da die Somalierin auf dem Weg zur Klinik von einem BGS-Beamten begleitet und ihre Behandlung vom BGS überwacht worden war, habe sie eigentlich den vom BGS bewachten exterritorialen Bereich auf dem Flughafen nicht verlassen. Einen „schlechten Witz“ nannte das eine Sprecherin der hessischen Sozialministerin Iris Blaul (Die Grünen). Tatsächlich läßt das neue Asylgesetz mit seinen Ausführungsbestimmungen dem BGS diesen Interpretationsspielraum – und avanciert so zum Instrumentarium für die Hardliner in Bonn, denen die „Einzelfallprüfung“ schon immer ein Dorn im Auge war.
Die „Entscheider“ am Flughafen haben aufgrund der engen Fristen kaum Zeit, in die Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse in einem sogenannten sicheren Drittstaat einzusteigen, die Verwaltungsrichter sind gleichfalls überfordert, und der BGS kann – mit Lob aus Bonn überschüttet – die Abschiebequote erhöhen. Eine Frau aus Somalia, deren Familie im Bürgerkrieg (fast) komplett ausgerottet wurde, die sich in den Sudan retten und dann in die BRD fliehen konnte und die hier unter dramatischen Umständen ihr Kind verlor, steht vor der Abschiebung. „Die Bundesrepublik ist ein gastfreies Land“ (Kohl nach Solingen) geworden. Klaus-Peter Klingelschmitt
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