Gamescom und „Fortnite“: Bis die Hände zittern
Auf Schulhöfen sprechen viele über das Spiel „Fortnite“. Woher kommt die Faszination? Drei Perspektiven.
Der Anfänger
Meine Freunde spielen „Fortnite“. Alle. Sie schwärmen regelrecht davon. Aber nicht nur sie. In meiner Schule führen selbst die, die eigentlich viel zu jung für Computerspiele sind, schon seltsame Tänze auf. Ein Teil des Spiels, wie sie mir erklären. Nach der Schule verabreden sie sich zum gemeinsamen Computerspielen.
Ich kann das nicht verstehen. Ich spiele keine Computerspiele. Ich halte das für Zeitverschwendung. Bisher jedenfalls.
Ich mache gerade ein Schülerpraktikum in der taz-Redaktion. Dort hat man mich gebeten, dieses Spiel, über das gerade alle Jugendlichen reden, doch mal auszuprobieren. Also los – ich bin ja auch neugierig, was alle meine Freunde daran so fesselt.
Ich ziehe die Vorhänge meines kleinen Zimmers zu, klappe den Laptop auf und starte das erste Computerspiel meines Lebens: „Fortnite – Battle Royal“.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sofort erklingt Musik, und ich sehe eine Figur vor mir: meinen Avatar, einen virtuellen Doppelgänger, der gar nicht aussieht wie ich. Ein junger, schwarzer, kräftig gebauter Mann in Militärhosen und Tanktop, eine Spitzhacke in der Hand, ein Stirnband um den Kopf, alles in der Anmutung eines Comics.
Dann falle ich aus einem fliegenden Bus. Im letzten Moment öffnet sich ein Fallschirm, und ich lande sanft auf einer Insel irgendwo im Meer. Außer mir landen fast hundert andere Spieler hier, meine Feinde. Echte Menschen aus aller Welt, genau in diesem Moment live dabei, verbunden durch das Internet.
Das Ziel des Spiels ist, alle diese Feinde zu eliminieren, als letzter Überlebender die Insel zu verlassen und dabei dem Sturm zu entkommen, der sich immer dichter um die Insel zuzieht. Wahrscheinlich stelle ich mich sehr schlecht dabei an. Meine Mitspieler nennen mich bald „Noob“, Neuling. Ich sterbe nach etwas weniger als drei Minuten.
Es fließt kein Blut. Auf Gewaltdarstellungen legt das Spiel keinen Wert. Klar, es werden Menschen umgebracht. Aber da zerfetzt niemand im Kugelhagel. Wer jemanden umbringt, tanzt dazu. Fast ein bisschen zynisch.
Klick, und schon geht es wieder los. Zwei Minuten später werde ich erneut ausgeknockt. Und wieder. Und wieder. Das Spiel hat mich, genau wie meine Freunde, in seinen Bann gezogen. Schließlich, weit nach Mitternacht, muss ich mir eingestehen, dass ich heute nicht mehr gewinnen werde und trotzdem bald aufstehen muss. Aber morgen ist schließlich auch noch ein Tag.
Jonathan Auer ist 17 Jahre alt und Schüler an der Waldorfschule in Landsberg am Lech.
Der Vater
Mein 13-jähriger Sohn spielt „Fortnite“, also genauer gesagt spielte er „Fortnite“ bis ungefähr gestern. Gestern hat er mir gesagt, dass er sich ein neues Spiel gekauft hat, von seinem eigenen Geld. Da geht es um etwas mit Zombiesjagen.
Ich nehme aber natürlich an, dass er „Fortnite“ schon noch weiter spielen wird, wie er sich ja auch weiterhin Fifa widmet (aber merkwürdigerweise nicht den analogen Moden wie Fidget Spinnern oder Gummringarmbändern – die hat er leicht abschätzig lächelnd seiner kleinen Schwester überlassen).
Ich habe im Grunde von all dem wenig Ahnung, weil ich mich nicht für diese Dinge interessiere, ja, Erwachsene, die sich für Videospiele, falls man das noch so sagt, begeistern – die verachte ich sogar ein wenig, nein, zu hart, sagen wir, ich missbillige es, wie auch Leute, die Kreuzworträtsel lösen oder Sudoku spielen, das erscheint mir als eine Verschwendung der doch kostbaren Lebenszeit: Sagt nicht Goethe irgendwo, Schach sei „für den Ernst zu viel Spiel, für das Spiel zu viel Ernst“?
Nein, es war Lessing. Was ich eigentlich sagen will, ist das: Mein toller Sohn, den ich so sehr liebe und der mich manchmal so nervt, auch mit diesem „Fortnite“-Getanze, das er überall zur Aufführung bringt, gibt mir jede Gelegenheit, in seine Spielwelt einzusteigen, er fordert mich auf, ja er bittet mich, dabei zu sein – und ich, ich lasse ihn hängen. Ich bin nicht bereit, mich mit seiner Kultur zu beschäftigen, so, wie meine Mutter nicht bereit war – im Wortsinn –, meine Zack-Comics zu lesen, weil sie die Kulturtechnik Comiclesen nicht erlernt hatte und sich ihre Ignoranz und ihr Unwille, sich diese Technik anzueignen, als Langeweile präsentierten: Genau wie bei meinem Sohn in der Schule ein Fach langweilig ist, wenn er es nicht versteht.
Die Gamescom wurde vergangenen Dienstag in Köln eröffnet. Sie ist die weltweit größte Messe für Computer- und Videospiele. Bis Samstag werden rund 500.000 Besucher erwartet. „Vielfalt gewinnt“ lautet das diesjährige Leitthema.
Fortnite ist das populärste Videospiel des Jahres, vor allem unter Jugendlichen. Es wurde im Juli 2017 veröffentlicht. Der kostenlose Modus des Spiels erreichte ein Jahr später 100 Millionen Spieler weltweit. Es geht darum, als letzter Spieler auf einer Insel zu überleben. Ein aufziehender Sturm begrenzt dabei das Spielfeld immer mehr. Das Spiel ist inzwischen Kult. Profisportler stellen die Tänze und Siegerposen aus dem Spiel nach, wie zuletzt etwa Fußballer Antoine Griezmann beim WM-Finale.
Jugendliche verbringen oft viel Zeit mit Computerspielen. In der JIM-Studie aus dem Jahr 2017 gaben 41 Prozent der Mädchen und 83 Prozent der Jungen zwischen 12 und 19 Jahren an, sich täglich oder mehrmals pro Woche damit zu beschäftigen.
In einem taz-Interview hat der Psychologe Georg Milzner Eltern eben das im Umgang mit ihren nur allzu leicht pathologisierten Zocker-Kindern empfohlen: sich einzubringen, nachzufragen, mitzuspielen – und die Frustration des Nicht-Könnens und Verlierens auszuhalten. „Eltern fangen am besten bei sich an: Was mir fremd ist, ist für meine Kinder ihre Zukunft – also werde ich versuchen, sie dabei zu unterstützen, so gut ich kann.“
Und genau das hab ich dann ja doch irgendwie gemacht, weil: Auf sein neues Zombiespiel ist mein Sohn, glaube ich, über gemeinsames „Z-Nation“-Gucken gekommen. Erziehung heißt eben auch: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.
Ambros Waibel ist taz-Redakteur und hat in einem früheren Leben zu viel Doom gespielt.
Die Profispielerin
Eine halbe Stunde habe ich jetzt noch zum Spielen. Dann muss ich zur Arbeit. Ich helfe gerade bei Netto aus, bis ich eine Ausbildung finde. Deshalb habe ich auch viel zu viel Zeit für „Fortnite“. Acht bis neun Stunden täglich, wenn ich nicht arbeite und meine Freundin Schicht hat. Wenn sie zu Hause ist, versuche ich, nicht zu spielen. Nur manchmal frage ich, ob ich ein paar Runden zocken kann. Das ist dann schon okay. Sie mag keine Shooterspiele, aber ich hab früher immer „Call of Duty“ gespielt. Wie alt ich da war, verrate ich lieber nicht.
Eigentlich spiele ich „Fortnite“ wegen der Leute, die ich dort kennengelernt habe. Es wäre schon richtig cool, die auch mal in echt zu treffen. Über die Headsets der Playstations können wir während des Spiels miteinander reden. Zum Beispiel darüber, wo wir hinfliegen.
Am Anfang habe ich fast immer allein gespielt, weil ich so schlecht war. Es hat fünf Monate gedauert, bis ich nicht in der ersten Minute rausgeflogen bin. Gemeinsam macht es viel mehr Spaß. Man kann eine Taktik entwickeln und muss keine Angst haben, plötzlich von hinten abgeschossen zu werden. Meistens landen wir in Paradise Palms. Da ist ein großes Hotel in einer schicken Wohngegend. Oder in Salty Springs, einer Kleinstadt mit Tankstelle. In der Großstadt Tilted ist die Runde schnell vorbei. Die ist viel zu beliebt, da springen viele Leute raus. Nichts für den Anfang.
Ich spiele nur weibliche Charaktere, auch früher in anderen Spielen schon. Meine Lieblingswaffe ist gerade die schallgedämpfte Pistole. Aber in 34 Tagen kommt die nächste Season raus, und die Macher von „Fortnite“ lassen sich immer was Neues einfallen. In der jetzigen Season kann man zurück in den Himmel springen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das mag ich noch lieber, als zu Fuß unterwegs zu sein.
Während des Spielens trinke ich Energy Drinks. Gestern hatte ich richtig Heißhunger auf Chips. Da bin ich dann schnell zu Netto. Das Spiel regt nämlich schon auch auf. Nach meinem ersten Solosieg haben meine Hände ein bisschen gezittert.
Heute schreibe ich meinen Freunden, wenn ich zum Beispiel meinen vierten Sieg geholt habe. Aber ich schreie nie. Ich habe auch noch keinen Controller kaputt gemacht, nur einmal mein Headset auf die graue Couch geworfen, auf der ich meistens sitze. Zweimal habe ich nun schon von „Fortnite“ geträumt. Aber nur Gutes!
Kimberley Kapischke ist 19 Jahre alt und lebt in Dresden. Protokoll: Stella Schalamon
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