■ Plädoyer für ein „Denkmal des Unbekannten Inquisitionsopfers“ vor dem Petersdom in Rom: Galileis Heimholung – oder: Was den Papst mit der Stasi verbindet
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: 359 Jahre nachdem die Heilige Inquisition den Mathematiker und Philosophen Galileo Galilei als Ketzer verurteilt hat, wurde er am Samstag offiziell rehabilitiert. Vor der päpstlichen Akademie der Wissenschaften gab der Oberhirte die Ergebnisse einer Untersuchungskommission bekannt, die er 1979 mit der Aufarbeitung der Prozeßgeschichte beauftragt hatte. Die Inquisitionsrichter, so der Papst, hätten „voreilig und unglücklich“ gehandelt, als sie im „tragischen Verkennen“ die naturwissenschaftlichen Auffassungen Galileis verurteilten. Die Behauptungen des „genialen Physikers“ – daß sich die Erde um sich selbst und um die Sonne drehte – seien „ernsthaft begründet“ gewesen. Dennoch hätten alle Teilnehmer des Prozesses „in gutem Glauben“ und aus Sorge um die Kirche gehandelt, sie hätten sich nur von der Fehlannahme leiten lassen, „daß die Erkenntnis der physischen Welt gewissermaßen vom Wortlaut der Heiligen Schrift bestimmt wird“.
In gewisser Weise erinnern die neuen Bekenntnisse des Vatikans an Stolpe und die Stasi-Akten: Man gibt immer erst dann was zu, wenn es wirklich alle Spatzen von den Dächern pfeifen. Nur daß Gottes Mühlen etwas langsamer mahlen und es eben ein paar Jahrhunderte dauert, bis man an der Eindeutigkeit der Aktenlage – des kopernikanischen Weltbilds – nicht mehr vorbeikommt und reumütig „tragische Fehler“ eingesteht. Unsere Enkel und Urenkel dürfen also schon gespannt darauf sein, was die Päpste des 21. und 22. Jahrhunderts dereinst zu offenbaren gedenken. Etwa darüber, wie ihr Vorgänger Wojtyla die Heilige Schrift als Handbuch zur Unterdrückung der Frau, der Sexualität, der Gesundheitspolitik mißverstand und in „gutem Glauben“ und aus Sorge um die Kirche das Kondom zum Ketzer Nr. 1 machte.
Kardinal Joseph Ratzinger, als Chef der Kongregation für die Glaubenslehre amtierender Nachfolger der Heiligen Inquisition, hat seine alten Kameraden in Schutz genommen und die päpstliche Rehabilitierung Galileis als politischen Opportunismus kritisiert. Und wo er recht hat, hat er recht, unser Glaubens- Stasi-General. Es stinkt in der Tat nach Opportunismus, wenn man einen Prominenten umarmt, der glimpflich davonkam, eben weil er abgeschworen hatte – ohne zugleich all die wirklichen Opfer der Inquisition zu würdigen, jene zahllosen Frauen und Männer, die von Ratzingers Vorgängern in gutem Glauben gemetzelt und verbrannt wurden.
Daß sich die Kirche von ihrem dogmatischen Irresein in irgendeiner Form wegbewegen könnte, davon kann auch nach der verspäteten Heimholung Galileis nicht wirklich die Rede sein. Linderung ist erst in Sicht, wenn vor dem Petersdom das Denkmal des Unbekannten Inquisitionsopfers enthüllt wird. Mathias Bröckers
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