: GROSSFAMILIE MAI
■ Seit 365 Jahren im Dienste des Nervenkitzels
Wir alle machen mit, daß das hier alles funktioniert. Die gehören alle zur Familie. 32 Leute sind wir und die tragen alle das bei, was sie können, auch die Frauen. Die Jungen auf dem Motorrad und die Älteren, die kochen, machen die Kasse, waschen, da fällt viel an bei so einer Großfamilie. Einer kümmert sich um die Werbung, einer um die Autos, was eben so anfällt. Jeder hat seine Fähigkeiten. Nein, ein Fremder, dem könnte man das ja gar nicht zumuten, mal haben wir viel Geld, mal haben wir gar nichts. Diese Unsicherheit, das geht nur in der Familie. Und hier, sehen sie meine Hand, meine Beine, man hat ja schon einige Narben, es passiert ja schon manchmal auch was, das kann man einem Fremden nicht zumuten. Und man muß sich ja auch aufeinander verlassen können. Wir sind Artisten seit 1622 und da wird eben von Generation zu Generation alles weitergegeben und immer mehr dazugelernt. Wenn man mal Fehler gemacht hat, wissen das sofort alle, damit das nicht wieder passiert. Auch von anderen Familien hören wir und lernen daraus.
Hier die Kinder, der eine ist fünf und der andere fast sechs, die fangen jetzt auch so langsam an. Unsere Älteste, die ist jetzt acht, war schon mit drei oder vier, noch mit dem Nuckel im Mund, das erste Mal mit oben auf dem Hochseil. Nein, Angst hat die nicht, das ist ja bei uns alles ganz normal. Der Kleine wollte sofort zehn Stück haben, als unser King-Kong-Fahrzeug als Spielzeug herausgekommen ist. Und zur Schule gehen die Kinder eben immer da, wo wir gerade sind. Wenn wir länger irgendwo sind, dann auch nachmittags, damit sie aufholen. Oder auch im Winterquartier in Nürnberg. Aber im Umgang mit den anderen Kindern, da sind sie die allerbesten, das sagen die Lehrer immer. Das lernen sie hier in der Großfamilie. Und wenn einer Mal heiraten will, da haben wir ja im Winter immer diese großen Treffen mit allen anderen Artistenfamilien, die kennen wir ja alle.
Früher waren wir hauptsächlich Hochseilartisten. Ohne Netz im Freien, an Kirchtürmen oder Masten. Das machen wir immer noch, aber weniger. Wir machen auch Stunts in Filmen, aber da werden wir nie erwähnt. Vor zehn Jahren mußten wir uns zusätzlich nach etwas Neuem umsehen. Verwandte von uns sind nach Amerika gefahren und haben die Crash-Shows gesehen. Das haben wir dann eben auch gelernt. Als wir den King-Kong bauen wollten, haben wir uns zu fünft zwei Tage lang in eine Garage gesetzt und haben mit der Kreide auf dem Boden Zeichnungen gemacht und überlegt, wie wir den konstruieren müssen. Und dann haben wir ihn gebaut. Nein, was anderes könnten wir nicht machen, wir haben ja nichts anderes gelernt. Wir können lesen, wir können schreiben, wir können alles, was wir können müssen.
Die Autos kriegen wir immer vom Schrottplatz, wo wir gerade sind. Für fünf Tage brauchen wir ungefähr 70 Stück. Hier ist das ja ganz einfach, aber zum Beispiel in Griechenland gibt's nicht soviele Schrottautos, die fahren die dort alle noch, da muß man wieder mehr improvisieren.
grr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen