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GNADENLOS GENSCHERN

■ „Reichlich grenzenlos“ - Deutsches Kabarett aus West und Ost im BKA

Im BKA, das am Samstag sein zweijähriges Bestehen mit Ost und West-Kabarett-Gastspielen zur deutsch-deutschen Lage feierte, hört man seit einem Jahr in den Pausen eine Platte mit Evergreens von Lou Reed. Ansonsten nimmt man die Stones.

Das ist ein Hinweis darauf, daß Kabarett eigentlich immer, wenn auch nur ein bißchen, zu spät kommt; nicht nur später als alles Böse, dessen abwesende Urheber einmütig beschimpft werden, sondern zu spät immer auch in seiner Form. Zu spät als kritischer Beobachter des Zeitgeschehens, der ja immer auch eine gewisse Affinität zu den Dingen haben müßte, die sich so merkwürdig verwandeln. Dies Zuspätkommen zeigte sich gerade bei den drei West-Kabaretts - Konejung/Schroth, die Enterbten, Lisa Fitz - die allesamt nicht mit dem Gestus des Unzeitgemäß-Zeitlosen auftraten, sondern die Unmöglichkeit, kritisch einfache Wahrheiten durch die Blume zu verkünden, inhaltlich thematisierten. Und indem sie problematisierten, daß sie ja eigentlich „für Zahnärzte mit Problembewußtsein“ spielen, die dafür zahlen, daß der Kabarettist auf der Bühne für sie betroffen ist, und indem sie schlußfolgern, daß sie, wie noch in den 70er Jahren, kein „weinerlich sozialdemokratisches Geseiber“ mehr absondern dürfen, meinen sie, es sei damit getan.

Lisa Fitz zum Beispiel, deren Programm unter dem hübschen Titel „Geld macht geil“ doch eigentlich einiges versprochen hatte an affirmativer Kritik, die aber, nachdem sie ihre Kritik lustig geäußert hatte - wenn der Kabarettist in seinem selbstgestrickten, handgewaschenen Wollpullover schon so jämmerlich aussehen würde, könne es ja nicht funktionieren, und sie würde keine „a-Moll-Deppenlieder“ a la Bettina Wegener sülzen - genau dies tat. Platinblond stand sie da, im roten, schulterfreien Kleid gesponsert, wie sie kabarettierte, von Reps, CSU, Krauss-Maffay und ähnlichem. „Der Faschismus unserer Zeit heißt Entseelung“, so sang sie zur Klampfe und sieht sich von einer herzlosen Koalition aus „Yuppie, Yippie, Hippie und Papi“ umgeben. Die durchschnittliche Koituszeit betrage zwölf Minuten, entsetzt sie sich. Sie ist in der freundlichen Koalition zur Rettung des Sexes vor Vermarktung, Kirche und dem „Secondhand-Sex“ (offensichtlich Onanie). Sie zitiert, das ist wieder schön, aus dem Beate-Uhse-Katalog. Entsetzt, aber immer lustig, merkt sie an, daß wir alle Marionetten seien; die Frauen, so erkennt sie, sind nicht von Natur aus blöd. Sie geht, nicht ohne die Erkenntnis hinterlassen zu haben, daß selbst das inhaltlich eigentlich Blödeste (lobenswerterweise kümmerte sie sich als einzige nicht um's Deutschtum) im bodenständig bayerisch-ausländischen Charme seinen eigenen Reiz hat.

Aber eigentlich ist Kabarett Männersache. Klassisch ist da der Widerstreit: Zwei Männer stehen auf der Bühne, die deutsch und kritisch - sich über das Deutschtum lustig machen. Ist es nicht schwierig, sich als Kabarettist „an der Spitze des kritischen Fortschritts zu wähnen und sich gleichzeitig als Deutsche zu bekennen?“, wird vom Veranstalter Rias im Programmheft gefragt. „Können nur Ignoranz, Verweigerung oder übersteigerter Patriotismus das verquere Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land bestimmen?“

Im Widerstreit befanden sich auch Hans-Günter Pölitz und Michael Rümmler von den Magdeburger Kugelblitzen. Wollte der eine mit „Guten Abend“ beginnen, so konterte sein Opponent mit „Guten Morgen“ - Demokratie muß sein. „Demokratie schließt Opposition ein.“ Anstatt aber nun diesen Satz so stehenzulassen, wie man es doch von einem Kabarett, das seine Wahrheiten 14 Jahre lang immer nur zwischen den Zeilen sagen durfte, hätte erwarten können, setzt man erklärend eins drauf: „So hat's die SED auch immer gehalten, nämlich in Bautzen.“ Ein ums andere Mal vergriffen sich die Kugelblitze in überflüssig tausendmal Gehörtem oder Gelesenem; wenn sie vom „genschern und waigeln“ sprachen oder wenn sie den DDR-SPD-Wahlslogan vom Blockflötenspiel der Ost-CDU wiederholten. Das störte nicht allzusehr; vielleicht weil sie so perfekt spielten, sicher, weil sie als DDR-Bürger immer noch Ausländer sind, die außerhalb des Kapitalismus eine ungebrochene Tradition hinter sich haben, in der es immer noch benennbare Wahrheiten gibt. Trash, der als Form hierzulande nötig ist, weil die Wahrheiten auf dem Markt beliebig werden, ist dort noch überflüssig. So kommen die Nazi-Assoziationen, die von den Enterbten grell und bis zum Geht-nicht-mehr strapaziert wurden, bei den Kugelblitzen eher beiläufig. Als Assoziationsreihe zwischen Misere, de Maiziere, Musik, Bratsche - der Ost-CDU-Vorsitzende ist gelernter Streicher und dem anderen Streicher. Oder sie treffen den ganz realen Bezug; weil es eben wirklich nur ein kleiner Schritt ist von den Ausweiskontrollen an den Ladenkassen, denen sich die Polen unterwerfen müssen, und dem Judenstern. Die Kugelblitze führen - uns wahrscheinlich nur - in's Reich infantiler Wunscherfüllungen, wenn sie sagen, daß sie die Falschen gewählt hätten, wenn sie davon reden, daß es wieder keiner gewesen sein will, der die CDU gewählt hat, und man so darauf schließen müsse, daß die Wahlen von Krenz wieder einmal gefälscht wären und wiederholt werden müßten (donnernder Applaus), wenn sie vom DDR-Sozialismus als „Monarchie mit sozialistischen Humoreinlagen“ sprechen und wenn sie ganz ernsthaft, das dürfen sie als Ausländer, an die Grünen und „den Sieg der sanften Gewalt“ glauben.

Infantile Wünsche bedienten auch die Reizzwecken, die seit 19 Jahren im Ostberliner „Haus der jungen Talente“ auftreten. Stille Freude kommt auf, wenn sie verkünden, daß Stalin nur scheinbar gestorben ist und sich wieder der Politik zugewandt hat. Wenn Honecker rehabilitiert und Mielke Volksliebling ist, sind die Begriffe wieder klar und die Worte wieder wahr.

Wir sind im DDR-Kabarett, wo der kleine Mann wieder der Dumme ist. Trotz 50er-Jahre-Anklänge ist das Spiel in der Distanz, die man logisch entwickelt, doch lustig. Dank professioneller Schauspielerei, dank gekonnter Zerhackung der Sprache. Hinter dem Nationalismus, so deuten die Reizzwecken kritisch an, verberge sich in Wirklichkeit ein ganz böser Egoismus. Und sie enden ganz klassisch, singend, und wünschen sich, „daß Berlin ganz unbeirrt/ schon bald Europas Hauptstadt wird.“

Der Charme des Wahrhaftigen, den die Ost-Kabaretts noch für sich in Anspruch nehmen können, wird sich vermutlich bald in den Charme des Exotischen verwandeln. Die Kabaretts wie die Theater sind drüben nur noch schlecht besucht; so scheinen die Gruppen hier schon fast museal im Exil zu sein. Bei den West-Gruppen ging es, so sehr sie sich auch bemühten, doch nur um vermeintliche Respektlosigkeiten, gegen etwas - das Nationale -, das letztendlich pathetisch noch in seiner Kritik gewürdigt wurde. Das Publikum jedenfalls beklatschte alles und jedes und auch noch sein Gegenteil.

Detlef Kuhlbrodt

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