GENFOOD UND GREENPEACE: DAS VERDIENST DER KAMPAGNE VON 1996 : Die vielen neuen Freunde der Verbraucher
Ab Sonntag dürfen endlich die Verbraucher mit dem Geldbeutel abstimmen, was sie von gentechnisch veränderten Lebensmitteln halten. Über die morgen in allen EU-Staaten rechtswirksam werdende Kennzeichnungsverordnung für Gen-Tech-Food ist derzeit fast nur Lob zu hören, weil die Verbraucher jetzt erfahren dürfen, ob das Sojaöl oder die Schokolade im Regal aus gentechnischer Produktion stammt. Zu Recht gemurrt wird nur über die Hintertürchen in der Kennzeichnungsverordnung, die es der Nahrungsmittelindustrie weiterhin erlauben, Gen-Tech-Produkte einzusetzen, ohne dass die Verbraucher etwas davon erfahren.
Selbst die unter Akzeptanzproblemen leidende Biotech-Industrie hat den mündigen Verbraucher und seine Wahlfreiheit entdeckt. Eine Farce, denn jahrelang hat sie wie von einer besonders giftigen Tarantel gestochen aufgeschrien, wenn die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht laut wurde. Im Einklang mit der EU-Kommission, die jetzt ebenfalls plötzlich zur Verbraucherfreundin mutiert ist, hat sie über Jahre hinweg zu verhindern gewusst, dass der Konsument eine informierte Kaufentscheidung treffen kann. Alle zugelassenen Produkte seien auch sicher; die Gen-Tech-Kennzeichnung habe deswegen keinerlei Informationswert – mit diesem Argument hat die Kommission jede Vorlage verwässert, die eine umfassendere Kennzeichnung vorsah. Und wenn das nicht ging, wurde eben zu Verzögerungstaktik gegriffen.
Als 1996 die ersten genmanipulierten Sojabohnen nach Europa kamen und in unsere Nahrungsmittel Einzug hielten, war in der Politik wie in den Medien noch „freie Fahrt“ für die Gentechnologie angesagt. Doch damals begann Greenpeace seine Aufklärungskampagne gegen die „Monsanto-Bohnen“. Die Organisation hat es tatsächlich geschafft, die europäische Öffentlichkeit zu sensibilisieren, Proteste zu stimulieren und den „mündigen Verbraucher“ mit Informationen handlungs- und verweigerungsfähig zu machen. Ohne jene Initiative der Umweltschützer von 1996 wäre die Entwicklung in der EU anders verlaufen, und ab Sonntag gäbe es vermutlich überhaupt keine Kennzeichnung. Ein historisches Verdienst also, das zu würdigen ist. WOLFGANG LÖHR