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GEMISCHTES GEWÜHLE

■ „Riff“ im Quasimodo

Nachdem man von Herrn Michael Jackson alles erdenkliche, nur nicht das einzig Einschneidende, nämlich den Schnittmusterbogen, den er demnächst als Gesicht zu tragen beabsichtigt, in Erfahrung gebracht hatte, konnte man sich getrost trollen und den angenehmeren Seiten des Kulturreporterlebens zuwenden. Am Bahnhof Zoo fielen mir drei jüngere Männer im Aggregatzustand nicht mehr zu überbietender Trunkenheit vor die Füße und skandierten mit wachsender Begeisterung Hurra hurra hurra, wir sind wieder da, und ein von Anzug und Krawatte nur notdürftig zusammengehaltener Mensch ruderte sehr eindringlich mit den Extremitäten auf mich zu, Könnse mir ma Dreimaakachssich jehm? Brauchick dringnd. Dreiachssig, ja? „Warum genau Dreimarkachtzig?“ Und: „Warum eigentlich nicht gleich dreitausendachthundert Mark?“ hätte man schnippisch gegenfragen können, aber man soll nicht pingelig sein und freudig begrüßen, was einem der Alltag an Vollerlebnissen in die Hände spielt. Hahmsievielndang.

Dergestalt moralisch abgefedert, konnte man nun, Hände auf dem Rücken, unsere schöne Kulturstadt abschreiten und sorgfältig inspizieren. „Die Satten verlassen das stinkende Riff“, hatte unlängst noch ein Dissident gemault, aber mit der Krawczykeria hat die Band gleichen Namens, die im Quasimodo antrat, nichts zu tun. Obwohl dort auch gedichtet wurde, aber davon später.

Zunächst arbeitete sich der Schlagzeuger mit einem dunkel bollernden Groove warm. Uli Moritz spielt wie in einem Kugellager, lässig dreht er sich die Rhythmen aus den Fingern, kreiselt, knallt einen Abschlag dazwischen, tupft einen Akzent hinein und rührt unbeirrbar in den Trommeln. Bernd Kegel wirft seine whockadi whockadi-Gitarre dazu, der Posaunist läßt uns hören, daß er Herrn Anderson von den Slickaphonics tüchtig nacheifert, und auch die Restbläser bemühen sich um pulsierenden Straßenlärm. Der Keyboarder, der mit dem Beisteuern modernerer Geräusche die Tondichte erhöhte, geriet darüber in eine derartige Begeisterung, daß er uns den Rest des Abends sein Gebiß vorzeigte. Wer es kennt, nimmt Kukident.

Der im Bläsersatz befindliche und dort akustisch eher untergehende Flötist Johannes Theurer verschaffte sich anders Gehör und trug etwas Aufgeschriebenes vom Blatt vor. Asien für Anfänger, die Sinnfrage und Bettzeug, Schraubenschlüssel nehmen und Bier kaltstellen, Einblicke in die Narreteien des alternativen Lebens, kurz, knapp, pointiert, nicht unähnlich den schönen Geschichten, die die Herren Kunze und Maurenbrecher, als sie sich noch nicht irrtümlich für Rockstars hielten, zu erzählen hatten.

Geschichten erzählt auch die Sängerin Ute Kannenberg, an diesem Abend mit angeklebte Schnurrbart, Käppi und Blaumann, damit kokettierend, daß man sie, egal ob man sie nun für eine Frau oder für einen Mann hält, in jedem Fall sehr angenehm findet (androjühn sacht man ooch); Frau Kannenberg berichtet mit mal rauchiger, dann wieder sehr mühelos die Höhen erklimmender Stimme von einem nächtlichen Rundgang durch die Stadt, die Band schnippt dazu mit den Fingern, Gitarrist Kegel drückt die Sustain-Taste, hallt schräge Akkorde, und Trommler Moritz paukt und schlegelt auf sein Equipment ein, eine Moon over Bourbon Street-Ballade, die Verzweiflung in Stil eingießt.

Später geht es dann noch etwas ethnisch, etwas popig, etwas funkig zu, mischmaschmischmaschmischmasch macht Riff, was der Band manchmal den etwas zweifelhaften Charme einer Wohngemeinschaft beschert, von dem sie sich aber immer wieder durch vehementes Dazwischendreschen ihrer einzelnen Mitglieder befreit. Joachim Litty ficht mit seinem Saxophon diverse existentielle Kämpfe aus, das klingt wie Truckerhupe oder schreit und kratzt und spuckt; von seinem Kollegen ist derartiges leider nicht zu berichten, man kann ihm nur zurufen: Charlie Parker hätte nie rote Hosenträger angezogen.

Und auch nicht - mit voller Absicht! - an den rechten Fuß eine schwarze und an den linken Fuß eine weiße Socke wie Herr Theurer, aber egal, das Saxophon quietscht gerade so schön im höchsten Diskant, Frau Kannenberg unisono mit, ein junger Mensch mit Brotschuhen an den Füßen wackelt verzückt mit dem Kopf und hat damit ausnahmsweise recht. „Es ist mein Gummibaum in dir“, spricht der Flöter, die Band saust durch diverse Stile, so leicht und wie hingeworfen, wie das nur mit sehr viel Arbeit möglich ist.

Sie freue sich, sagt die Sängerin, daß so viele trotz des Mega-Ereignisses gekommen seien, dies sei ein Indiz für guten Geschmack. Man ist noch kein verständigerer und besserer Musiker und Mensch, wenn man Michael Jackson nicht ausstehen kann. Aber es hilft natürlich.

wiglaf droste

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