Fußpflege unter der Grasnarbe : Zlatan, Kafka und der schwarze Wald
Ein klirrend kalter Winterabend. Ich stehe auf dem Balkon, schaue auf die Schnee bedeckten Berge und verfluche meinen erfolgreichen Entschluss, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich wohne jetzt auf dem Land. In der Nähe von Freiburg, was eher selten in einem Atemzug mit New York, Rio, Tokio genannt wird. Ein paar hundert Einwohner, eine Kirche und x-mal der genagelte Holz-Jesus. Beim Fleischer zähle ich seit meinem zweiten Einkauf zu den Stammkunden. Die Leute sind nett. Mir gefällt das.
Ich blicke nach links, über die Wiese zum Nachbardorf rüber. Mein alter Nachbar Bajramovic ist auch aufs Land gezogen. Auch bei ihm brennt noch Licht. Zlatan sieht in letzter Zeit überhaupt nicht gut aus. Ich mache mir Sorgen um ihn. Das mit den Sorgen darf ich, ich kenn mich aus mit Dörfern. Und mit Zlatan, ich habe schließlich schon auf St. Pauli bei ihm um die Ecke gewohnt. Metzger gabs da keine. Nur Autos, Kneipen und den Billardsalon, wo Zlatan nebst Bruder Jasmin des öfteren aufschlug. Beim FC hat Zlatan gelernt, was man am Millerntor eben so lernt. Gras schwitzen, Blut umpflügen und so. Manchmal denke ich, es wäre besser für ihn gewesen, er hätte vom echten Fußball, dem mit der langen Taktik und den kurzen Pässen, nie gehört. Hat er aber, denn er ist nun in Freiburg gelandet, wo er gleich aufgefallen ist, weil er massig Tore geschossen hat.
Seine Unbekümmertheit fanden alle auch ganz toll. Bis er in Dortmund ganz unbekümmert gesagt hat, dass die schwachen Gegner schwach waren. Das fand man arrogant. Also hat er dazu gelernt. Zlatan kann das mit dem Lernen, er hat Abitur. Sozialdemokratisch zwar, aber was zählt, is auf‘m Papier. Und deshalb hat er bei der überüberüberübernächsten Auswärtsniederlage gesagt, dass er an allem Schuld sei. Was ihm als anmaßend ausgelegt wurde, weil er sich damit zu wichtig nahm.
Zlatan wird schon noch lernen, wie man Fragen richtig beantwortet. Da kann er sich einiges vom Flachland-Kollegen Kruppke abschauen, der noch nie etwas gesagt hat, was sich irgendjemand hätte merken können. Aber ob Zlatan je wieder so unbekümmert vor sich hinplappern wird wie damals mit 18, als er über die Hochliteratur und den Deutsch-LK erzählte? „Wenn man schreibt, Kafka war nicht so gut drauf, kommt das nicht so gut an.“ Gut, dass es in der Klausur auch um irgendwas von Kafka ging, „den Namen der Story hab ich schon wieder vergessen“. Das Schloss? Der Prozess? Zlatan jedenfalls hat in Baden ganz schnell Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande getroffen und ein Kind gezeugt. Von Kafka zur Kita – das immerhin ist ein hoffnungsfroher Ansatz: Der andere Ex-Hamburger, Richie Golz, hat jetzt schon so viele Kinder, dass er in Freiburg inkognito durch die Fußgängerzone spazieren kann.
Vielleicht singt Zlatan seinem Luis gerade das Badnerlied vor, was hier vor den Spielen das heimatliche Hells Bells ersetzt. „Deutsches Land“, „Gottes Hand“ und so. Über die Tannenwipfel weht leises Kinderwimmern zu mir herüber. Ich fahre mal rüber zu Zlatan. Mal sehen, was meine Bibliothek so hergibt.