Fußballfans: Kapital schlagen aus Hoffenheim
In Kreuzberg gibt es den ersten Fanclub der TSG Hoffenheim. Der einstige Bundesliga-Überflieger ist ein neureicher Krösus, seine Anhänger sind Antikapitalisten.
"28 Jahre nach John Lennon" steht auf dem T-Shirt, daneben prangt das Wappen der TSG 1899 Hoffenheim. Klar, Fußball ist Pop, aber den Zusammenhang möchte man doch genauer vom T-Shirt-Träger erklärt wissen. Er sei Fan von John Lennon, besitze alle seine Platten, sagt Johann Maria Just. Und: 28 Jahre nach Lennons Tod hat er einen Fanclub gegründet, der das Fußballfansein ganz im Lennonschen Sinne definiert: "Wir sind gegen Rassismus, gegen Gewalt." Sie hätten auch mal überlegt, sich auf Jimi Hendrix zu berufen - "aber bei dem fehlte uns dann doch die politische Aussage".
Der 54-jährige Lennon-Fan ist Angestellter in einem kleinen Verlag und ein Altlinker, wie man so sagt. Man könnte ihn auch als Vorzeige-Kreuzberger bezeichnen. Vor mehr als 30 Jahren kam er aus dem Badener Land, studierte Politologie, wurde Hausbesetzer am Winterfeldplatz und ging zu Ton-Steine-Scherben-Konzerten. Aus dieser Zeit hat er seine Ideale konserviert: friedliches Zusammenleben, Frieden überhaupt. Aus dem Fenster seiner Wohnung am Oranienplatz hing während des Irakkriegs eine Fahne mit der Aufschrift "Stoppt den Mord an den Irakern".
Jetzt hängt dort eine blau-weiße TSG-Fahne, was schon deshalb überrascht, weil sich der gemeine Kreuzberg-Bewohner eher als Anti-Hoffenheimer versteht, vom Lebensentwurf her. Viele sind deshalb aus der wohlhabenden Provinz hierher geflohen. Andererseits: Fußballspezifisch steht Hoffenheim für echten Fortschritt (konzeptionell) - und für Provokation. Dank seines milliardenschweren Mäzens Dietmar Hopp ist der Verein im deutschen Fußballfan-Establishment ähnlich verhasst wie das Schweinesystem bei Kreuzberger Politschlachtenbummlern. Der Bundesligaaufsteiger und zeitweiliger -spitzenreiter ist Underdog und neureicher Krösus, spielkulturell sympathisch und aus fantraditionalistischer Sicht indiskutabel. Angesichts so vieler Widersprüche wundert es weniger, dass Berlins einziger Hoffenheim-Fanclub ausgerechnet in Kreuzberg angesiedelt ist.
"Wir waren ein Häufchen Leute, haben oft zusammen Fußball geguckt und selbst bei Hansa 07 gespielt", erzählt Johann Maria Just, und Clubmitbegründer Martin Kapp, ein gebürtiger Schwabe, ergänzt: "Als der Verein in der 2. Liga zwischen dem 10. und 8. Platz lag, haben wir unser Augemerk verstärkt auf ihn gelenkt und regelmäßig im Fernsehen die Spiele angeschaut. Das war ein angenehmer Unterschied zum ,Hauptsache gewinnen'-Gedümpel, das sonst meist geboten wird."
Auf der Suche nach erfrischendem Fußball war der Kreuzberger Freundeskreis zuvor mal bei den Spielen von Leverkusen oder Bremen, mal bei Holland fündig geworden. Plötzlich lag das Gute so nah, dass Johann Maria Just im Frühjahr 2008 die Idee zur Gründung des "FC 1899 BerlinXberg" kam.
Mit jedem Sieg des Bundesliganeulings kamen mehr Presseleute nach Kreuzberg, um die Spaßvögel aus dem alternativen Hauptstadtkiez als exotische Pendants zu den Spaßfußballern aus dem biederen Dorf zu feiern. Besonders gefielen dessen lustige Beauftragte. Ein Erstligafanclub mit Frauenbeauftragtem, Integrationsbeauftragten sowie Schwulen- und Lesbenbeauftragten, das klang nach schönster Kreuzberg-Folklore.
"Ja, das ist ein Tribut an Kreuzberg", sagt der Clubchef ganz ohne Jux. Spaß müsse sein, natürlich, aber das mit der Gewaltlosigkeit und dem Anderssein im Fußballfanzirkus meine man sehr ernst. Und er fügt hinzu: "Manchmal fragen uns Leute nach unserem Vereinsheim. Wir haben aber kein Vereinsheim und wollen auch keins. Wir gucken zusammen Fußball im Fernsehen - und wenn unsere Freundinnen halt was anderes vorhaben, haben wir selbstverständlich auch was anderes vor. Wir sind nicht so verbissen wie viele andere Fans."
Auch Martin Kapp nervt vieles rund um den Fußball, was dessen Faszination für andere Fans gerade ausmacht: "Das Gehabe im Stadion mit den Schlachtgesängen und dass viele Leute Fußball nicht als entspannte Freizeit- und Integrationsveranstaltung sehen können, sondern die Konflikte zwischen den Fangruppen suchen". Die Xberger verteilen lieber Kondome mit der Aufschrift: "Hurra, wir kommen".
In Schlägereien sind sie noch nie hineingeraten. Ziemlich böse angeguckt wurden sie allerdings schon manchmal, was wohl nicht persönlich gemeint war. Für Hardcore-Fußballfans sind sie schlicht die Mitvertreter des Kapitals, das einen Namen hat: Dietmar Hopp. Sein Name schwebt auch über dem Fanclub wie ein Geist, der irgendwann ungefragt erscheint. Die Medienkarriere der Kreuzberger wäre undenkbar ohne die Konstellation: Altlinke huldigen Milliardärsverein.
Der Fanclubchef bleibt angesichts dieser Vorwürfe erst mal gelassen: "Alles Neid", so Just. "Interessant ist, dass wir ausgerechnet aus St. Pauli am wenigsten Kritik bekommen, obwohl die das genaue Gegenteil von Hoffenheim sind: immer klamm und chaotisch. Schau dir mal an, was Hopp alles unterstützt, das reicht vom Hospiz bis zur Jugendarbeit des Vereins. Der zeigt soziale Verantwortung, außerdem hat er früher selbst dort gespielt." Hat erfolgreicher Fußball nicht zuerst mit Geld zu tun? "Wir haben Kapitalismus. Wollen wir ihn abschaffen?"
Sie würden wohl schon ganz gern, aber als Fußballfan hätte es Nachteile. "Wenn wir ehrlichen Fußball sehen wollen, dann müssen wir zu Hansa 07 gehen. Hochbezahlten Fußball lehne ich eigentlich generell ab, aber ich bin süchtig nach gutem Fußball." Und was den Kapitalismus angeht: "Ackermann, Zumwinkel und die Siemens-Clique, die tun doch alles für seine Abschaffung. Die müsste man ins Gefängnis stecken."
Bloß nicht unpolitisch
Der Vorsitzende der Hoffenheim-Fans von Kreuzberg denkt nun an den revolutionären 1. Mai und dass da auch wegen dieser maßlosen Managertypen die Stimmung in Gewalt umschlagen könnte. "Ich sage nicht, dass ich das gut finde, aber ich würde mich nicht wundern."
Vorstandskollege Martin, der als Kellner in der UFA-Fabrik arbeitet, will auch zur Demo gehen, lehnt aber Straßenschlachten und Gewalt grundsätzlich ab, weil man dadurch potenzielle Verbündete verschrecke. Auf seinem T-Shirt steht groß Soildarität über einem verballhornten Kaisers-Logo. "Ist der Rausschmiss der Kaisers-Kassiererin wegen eines Flaschenbons nicht auch Gewalt?", fragt Johann Maria Just. "Klar, da muss man sich wehren", antwortet Martin Kapp.
So schnell kanns gehen beim FC 1899 Xberg - vom Fußball über Hopp zur Politik. Stimmt es, dass neue Mitglieder ein Aufnahmegespräch bestehen müssen? Just: "Das war mal so n bisschen, aber nicht wirklich." Warum eigentlich? "Einen humanistischen Background sollte man bei uns schon haben und halt gegen Gewalt sein." Ganz im Sinne Lennons eben.
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