Fußballweltmeister Argentinien: Messi heißt jetzt Diego

Der argentinische Fußball-Superstar Lionel Messi hat alles erreicht, was er erreichen konnte. Er wird jetzt wie ein Gott verehrt – also wie Diego Maradona.

Lionel Messi im WM-Finale vor dem Torschuss

Er lässt die Welt stehen. Und die französische Abwehr auch: Lionel Messi Foto: imago/MB Media Solutions

Vielleicht noch nie hat ein großes Finale so viel Gesprächsstoff produziert wie das epische Duell um die WM 2022. Wo immer Argentinier nach dem Schlusspfiff zueinanderfanden, spielte das aber erst mal keine Rolle. Was sollte man analysieren, wie überhaupt diesen Irrsinn in Worte fassen? Wie nicht einfach nur Exorzismus betreiben, die Freude herausschreien, die ganzen Fansongs durchdeklinieren, von denen keine andere Nationalelf so viele hat?

36 Jahre hatte das wohl leidenschaftlichste Fußballland der Welt auf seinen dritten Weltmeisterstern warten müssen. Wie im Zeitraffer musste es diese 36 Jahre nun durchleben. So nah war der Titel schon und dann wieder so weit weg. Als Frankreich gegen Logik und Spielverlauf zum 2:2 ausglich, als es auch zum 3:3 zurückkam, da konnten viele nicht mehr hinsehen. Und womöglich konnte Lionel Messi nur deshalb ruhig weiterspielen, weil er, wie er sagte, seit einigen Wochen „die Vorahnung“ hatte, dass „Gott mir ihn schenken würde“, den WM-Pokal. Wie es dann passierte, fand auch er „una locura“, Wahnsinn: „Er hat sich ganz schön bitten lassen.“

16 Jahre waren es in seinem Fall, so viele vergingen seit der ersten WM-Teilnahme, und natürlich machte das den Triumph noch größer. Es war eben nicht der lineare Erfolg eines Überbegabten, dem Talent und damit alles andere in den Schoß fiel. Sondern das Ergebnis von so viel Leid, dass er 2016 sogar schon mal vorübergehend aus der Nationalelf zurückgetreten war, weil er nach drei Finalniederlagen in Serie bei WM und Copa América fand, „es sollte nicht sein“ mit ihm und Argentinien.

Wohl nie hat ein so guter Fußballer so viele Kritiken abbekommen wie Messi, der Überspieler des Krawall- und Social-Media-Zeitalters. Dass in seiner jahrelangen Wahlheimat Spanien – vom 13. bis zum 34. Lebensjahr – manche in Madrid so von ihrem Hass auf den Erzrivalen FC Barcelona zerfressen sind, dass sie seine Größe nie anerkennen konnten, war dabei noch sein geringeres Problem. Viel mehr schmerzten Anfeindungen aus Argentinien, die bisweilen explizit und praktisch immer implizit ins Persönliche gingen: Dass er nicht wirklich einer von ihnen sei, weil er ja schon mit 13 auswanderte. Dass er leicht einknicke, dass er nicht die landestypische breite Brust habe, das Straßenfußballerische. Dass er, kurzum, nicht Diego Maradona sei.

Fußballsong

„In Argentinien bin ich geboren / der Erde von Diego und Lionel“

Wenn jetzt seine Erlösungsgeschichte geschrieben wurde, ist Messi natürlich trotzdem kein braver Heiliger. Aber das war Maradona ja noch viel weniger. Dass er nach dem polemischen Viertelfinale gegen die Niederlande zum Pöbler mutierte, wurde daher sogar als Ausweis seiner Maradona-Werdung gefeiert. Vor allem und noch wichtiger zeigte er diese aber in seinem wild entschlossenen Spiel.

Maradona, Falklands, Brasilianer

Denn wie bei Maradonas mythischer WM 1986 handelte es sich bei Argentinien 2022 um ein verschworenes, vom anfangs belächelten Trainer Lionel Scaloni exzellent gecoachtes Team, das in den Youngstern Enzo Fernández (Mittelfeld) und Julián Álvarez (Angriff), dem exaltierten Torwart „Dibu“ Martínez oder dem in der ersten Finalstunde überragenden Ángel Di María punktuell auch andere Helden produzierte – aber zum Überleben immer die Interventionen Messis benötigte. Und sie mit sieben Toren sowie den maradonianisch brillanten Torvorlagen gegen Holland und Kroatien auch bekam.

Wo immer Argentinier in der langen Partynacht nun zusammenfanden, stimmten sie ihr Lied dieser WM an, das Messi in den Kontext der klassischen Ingredienzen argentinischen Fußballliedguts stellt: Maradona, Krieg um die Falklands, was hier Malvinas heißt, und die Brasilianer. „In Argentinien bin ich geboren, der Erde von Diego und Lionel, und den Jungs der Malvinas, die ich nie vergessen werde“, beginnt es und schließt mit: „Für Diego, den wir im Himmel sehen können, mit Don Die­go (Vater, d. Red.) und La Tota (Mutter), wie sie Lionel anfeuern“. Seit dem befreienden Sieg bei der Copa América 2021 in Brasilien, Argentiniens erstem Titel seit 1993, ist Messi endgültig und wirklich einer von ihnen. Bei der WM wurde nun die heilige Kommunion zelebriert.

Wie es Maradona in seiner Paraderolle als Rächer nicht besser inszenieren könnte, setzte sich auch Messis Argentinien gegen alle durch. Nach der Niederlage gegen Saudi-Arabien spielte es schon ab der zweiten Partie gegen das Aus. Es motivierte sich durch die Lästereien der Holländer (Rafael van der Vaart: „Ich habe noch gegen den Messi gespielt, damals schrie ich nach meiner Mutter. Der von heute ist kontrollierbar“) und widerlegte Arsène Wenger, der nach der Vorrunde vorhersagte, „die Mannschaft mit den besten Außenbahnen wird Weltmeister“. Argentinien jedoch kam meist durch die Mitte. Über Messi.

Es war die variabelste Mannschaft des Turniers und auch die beste, zumal im Finale. Doch für Analysen und Debatten ist ja nach den Feiern noch genug Zeit. Auch für die, ob Messi jetzt der beste Fußballer der Geschichte ist.

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