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INTERVIEW„Furchtbar“

■ Jakob Arjouni (27) ist Schriftsteller und lebt in Berlin. In seinen drei Kriminalromanen „Happy Birthday, Türke“, „Mehr Bier“, „Ein Mann, ein Mord“ (alle Diogenes) beschäftigt er sich mit der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland

taz: Sie stammen aus Frankfurt. Warum haben Sie als Wohnort ausgerechnet Berlin gewählt?

Jakob Arjouni: Ich bin bereits mit 13 oder 14 Jahren Berliner geworden, um nicht zur Armee zu müssen. Ich lebte dann einige Zeit in Frankreich. Als ich anschließend nach Deutschland zurückkehren wollte, stand für mich als Wohnsitz nur Berlin zur Debatte. Ich kannte hier zwei, drei Leute sehr gut. Wahrscheinlich bin ich aber auch dem typischen Reiz erlegen, den West-Berlin auf die meisten Provinzler ausgeübt hat.

Sie denken aber wieder daran, Berlin zu verlassen. Warum?

Das hat ganz kleine Gründe. Ich sitze pro Tag acht Stunden allein am Schreibtisch, und wenn ich danach auf die Straße gehe, möchte ich etwas erleben. Berlin ist für eine Großstadt noch immer sehr ruhig. In Paris kann ich ganz andere Sachen entdecken. Und das Essen ist besser. Außerdem hat Paris durch sein Menschen- Figuren-Gemisch und das Selbstbewußtsein seiner vielen verschiedenen Menschen eine ganz andere Qualität als Großstadt.

Doch zur Zeit mischen sich in Berlin doch gerade die Menschen.

Stimmt. Einer der wenigen Vorteile der Wiedervereinigung ist, daß viel mehr Leute nach Berlin kommen. Vor dem Mauerfall war Berlin ein Kultur-Disneyland für Theater- und Filmleute. West-Berlin hatte etwas Unwirkliches. Es wurde viel Geld reingepumpt, denn Berlin war schließlich ein Statussymbol gegenüber dem Osten, als Metropole in Kunstangelegenheiten.

Wie haben Sie den Fall der Mauer in Berlin erlebt?

Ich stand an dem Abend an der Mauer, als der erste Grenzübergang aufging. Und ich hab' selten so was Gräßliches erlebt. Diese unkontrollierbare, unvernünftige Masse hat mir Angst gemacht. Ich habe diese sehr laute und sehr schnelle Freude überhaupt nicht verstanden.

Wie hat sich die Maueröffnung auf Berlin ausgewirkt?

Von der Maueröffnung im Herbst bis zur Fußballweltmeisterschaft im nächsten Sommer war's furchtbar. Es rollte eine wahnsinnige schwarzrotgoldene Welle durch die Stadt und drängte alle an die Wand, die anders und nicht so freudig aussahen. Daß die Ostler sich irgendwie freuten, war klar. Aber das hat mich nicht besonders interessiert. Mein Problem waren die Westler. Die kehrten von Anfang an den Sieger heraus. Kein Mensch dachte daran, daß diese Wiedervereinigung in spätestens vier, fünf Monaten anstrengend sein würde. Und im selben Ausmaß, wie man sich hier am Anfang die nationale Freude einredete, schlug sie später in Aggression und Katerstimmung um. Die Fußball-WM war dann der Höhepunkt an Freude und Taumel. Ekelhaft.

Welche Bedeutung hatte für Sie damals Ost- Berlin?

Für mich war Ost-Berlin ein Ort wie zum Beispiel das Saarland. Dort fahr' ich auch nicht hin. Was hatte ich auch in Ost-Berlin zu tun? Ich bin ein Quartiermensch und bleibe in der Regel in dem Viertel, in dem ich auch wohne. Inzwischen war ich ein paarmal drüben. Ost- Berlin ist so, wie man sich's eben vorstellt: wenig Infrastruktur, die Straßen sind leer, die Häuser kaputt.

Wie wirkte auf Sie der Berliner Polenmarkt und die daraus resultierende Ausländerfeindlichkeit?

Die Reaktionen auf die Polen waren furchtbar. In jedem Kaufhaus — wo die Regale natürlich immer noch voll waren — brüllten irgendwelche Proleten: Die Polen koofen uns alles weg. Das Geschrei um den Schwarzmarkt fand ich extrem albern. Der Aufstand dagegen, daß die dort ihre Zigaretten und Blumenvasen verkauften, war beängstigend. Ein anderes Beispiel: die monatelangen unsäglichen Diskussionen, ob 250 oder 300 russische Juden als Asylanten anerkannt werden sollten oder nicht. Sobald die Deutschen sich vereinigten und darüber freuen durften, schlug die Freude sofort in Fremdenhaß und Aggression gegen andere um.

Ausländerfeindlichkeit war doch in Berlin schon immer ein Thema. Stichwort: Kreuzberg, Türkengetto.

Aber die Ausländerfeindlichkeit bekam nach der Wiedervereinigung einen allgemein anerkannten kulturellen Rahmen, plötzlich wurde bei jeder Gelegenheit die Nationalhymne gesungen. 'Spiegel‘ und die 'Bild‘-Zeitung schalteten sich gleich, das Wort „Deutschland“ — anstatt BRD — war in aller Munde. Und Schwarzrotgold an jedem zweiten Autofenster. Das war ja vorher nicht so, sondern spielte sich eher verschämt ab und wurde belächelt. Auf einmal durfte man sich wieder großdeutsch fühlen. Oder jetzt: Da schafft die Bundesregierung den theoretischen Unterbau für gewalttätige Ausschreitungen. Im Fernsehen wird einem von früh bis spät von einem angeblichen Asylantenproblem erzählt. Was Kohl und seine Regierung machen, ist im Grunde genommen Anstiftung dazu. Interview: Christian Seiler

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