Furcht vor Wiederkehr des Virus: Jetzt meiden Chinesen Ausländer
Was für eine Wendung: Chinas Gesellschaft bangt es jetzt trotz niedriger Infektionszahlen erneut vor Corona – durch Besucher aus dem Ausland.
An diesem sonnigen Montagmittag fährt eine Notfallambulanz auf den leeren Parkplatz. Wer sich dem Eingang zur Lobby nähert, wird von zwei Männern in schwarzer Kleidung mit ausgestreckter Hand gebremst: „Bleiben Sie, wo Sie sind. Das ist kein Hotel, das ist die Regierung“, sagt einer.
Den Blick in die Lobby kann er jedoch nicht verhindern: Männer sind dort von Kopf bis Fuß in medizinische Schutzkleidung gehüllt. Ihre Gesichter sind hinter Atemschutzmasken versteckt. Eine Szene wie aus einem Science-Fiction-Film.
Seit Montag ist das Hotel für 14 Tage Quarantäneheim für alle nach Peking Einreisenden aus dem Ausland. Egal, ob sie aus dem Krisengebiet Italien anreisen oder aus dem mit nur 63 Coronainfizierten betroffenen Russland: Jeder muss dort seine Zeit in einem Einzelzimmer absitzen, das er die gesamte Zeit nicht verlassen darf.
Vom deutschen Auswärtigen Amt heißt es, Chinas neue Quarantäneregelung sei „ohne Erläuterung“ verkündet und über Nacht gültig geworden: „Die Botschaft bemüht sich, Näheres in Erfahrung zu bringen.“
Bauer über Besucher
Nur 16 Neuinfektionen hat Chinas nationale Gesundheitskommission am Montag vermeldet, ein für das bevölkerungsreichste Land der Welt verschwindend geringe Zahl. Der Kampf gegen das Virus scheint vorerst gewonnen. Doch gibt es jetzt eine neue Sorge: importierte Fälle aus dem Ausland. Seit dieser Woche gibt es mehr Coronatodesfälle außerhalb Chinas als innerhalb.
Würde es sich um einen Katastrophenfilm handeln, wäre die jetzige Entwicklung ein aberwitziger Plot-Twist, der selbst den tollkühnsten Drehbuchschreibern nicht einfallen könnte: Die Profifußballmannschaft aus Wuhan, der Heimat des Coronavirus, hat ihr temporäres Trainingslager in Spanien wegen der sich dort verschlimmernden Epidemie abgebrochen und ist nach China zurückgekehrt.
Jetzt verschickt China Masken
Der US-Technikriese Apple hat inzwischen alle seine Flagship-Stores geschlossen – bis auf die im chinesischen Festland. Und Chinas Kommunistische Partei spendet Italien medizinisches Material. „In der Anfangsphase haben wir Masken aus Deutschland bekommen. Jetzt versuchen wir Masken aus China nach Deutschland zu schicken“, sagt der Vertreter einer deutschen Firmen.
Fotos in sozialen Medien zeugen von Auslandschinesen, die in langen Schlangen an den Einreiseschaltern des Pekinger Flughafens warten. Sie wollen zurück in ihre Heimat, nachdem sie sich in Europa und Amerika nicht mehr sicher fühlen.
In Peking berichten Ausländer, dass auffällig viele Chinesen jetzt auf der Straße einen weiten Bogen um sie machen. Die Staatsmedien berichten von der Wiedereröffnung des Xiaotangshan-Krankenhauses – eines Feldspitals, das 2003 Sars-Patienten behandelt hatte. Nun wird es nur für aus dem Ausland kommende Coronafälle genutzt.
„Halten Sie Abstand“, sagt ein Mann mit roter Kappe. Er steht vor der Dorfeinfahrt der Zhuishikou-Gemeinde, die eine Stunde nördlich der chinesischen Hauptstadt zwischen kargen Berghängen, Apfelbaumfeldern und Gräbern aus der Ming-Dynastie liegt.
„Wer weiß, woher die Ausländer kommen?“
Das 300-Einwohner-Dorf wird von einem kleinen Fluss umkreist, was es wie eine Burgfestung aussehen lässt. Ein stimmiger Vergleich: Am Dorfeingang mustert eine ältere Frau den deutschen Reporter argwöhnisch, ein Bauer sagt: „Wir haben Angst vor Ausländern, wer weiß, woher die kommen.“
Das kurze Gespräch mit dem Dorfwächter ergibt: Seit Ende Januar ist Zhuishikou vollständig von der Außenwelt abgeriegelt, niemand außer den Anwohnern darf den Ort betreten. In drei Schichten arbeiten die Senioren rund um die Uhr.
Langweilig sei sein Dienst schon, sagt der Chinese, aber was könne man schon machen. Dann fährt eine Frau im BMW die Straße entlang. Der Mann mustert das Nummernschild, misst die Körpertemperatur der Fahrerin und lässt sie schließlich passieren.
Der nächste geöffnete Lebensmittelmarkt ist fünf Autominuten entfernt in einem Nachbardorf, das sich ebenfalls abgeriegelt hat. Auf einem roten Propagandabanner prangt der Slogan: „Den Kampf gegen das Virus gewinnen wir!“
Ein Wächter in brauner Steppjacke erklärt: „Nur ein einziger Infizierter wäre ein Desaster für unser Dorf. Die Quarantäne-Maßnahmen sind das Beste für mich und auch die Gesellschaft als Ganzes.“
Schon bald mischt sich Zhang Xuequi in die Unterhaltung, eine Dorfärztin in weißem Kittel. Sie sagt: „Sie sind nicht willkommen hier, schließlich haben wir keine Ahnung, woher Sie kommen.“ Im Ausland sei der Ausbruch des Virus viel schlimmer als in China.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen