Zwischen den Rillen: Funky Hütchenspieler
■ Allein machen sie dich ein! Neues von den Sternen und den Flowerpornoes
Gäbe es hierzulande eine Generation X, wäre ihre Hymne der Song vom „Universal Tellerwäscher“. Die nüchterne Beschreibung all jener gescheiterten Lebewesen vor und hinter dem Tresen der einschlägigen Lokalitäten verdanken wir den Sternen, die neben Blumfeld und den von Funpunk auf Diskurspop umgepolten Goldenen Zitronen als Aushängeschild der „Hamburger Schule“ fungieren. Remember: Tanzbare Mucke mit viel Groove trifft auf reservierten Gesang und verschachtelte Texte, die als Fortsetzung der hermetischen Dichtung mit anderen Mitteln von Germanistikstudenten goutiert werden.
Der daraus resultierende Distinktionsgewinn wird, nachdem das Mindestmaß korrekter Attitude untergemischt worden ist, durch beiläufig eingestreute Zitate aus der Popgeschichte noch einmal verdoppelt. Dabei kommt schon mal der eine oder andere semiotische Betriebsunfall vor, denn das Hütchenspiel mit den drei Streichholzschachteln Rockmusik, Literatur und Politik funktioniert nicht immer und überall.
Zu beobachten ist dieses Phänomen auch auf „Posen“, dem dritten Longplayer der Sterne. Dort tummeln sich haufenweise Songs, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Formatierungen und Aussagen einander eigentlich ausschließen. Neben „Swinging Safari“, einem lyrischen Beziehungsdrama an der Grenze zum Easy Listening, poltert handfester Juso-Rock. Im original Scherben-Sound wird die „Risikobiographie“ des überschuldeten Facharbeiters erzählt, der die neugekaufte Karre auf die Wiese fährt und zu spät feststellt: Allein machen sie dich ein! Und auch auf der anderen Insel tanzt Carola, die Königin des Vorstadtnachmittags, heute nicht so toll – „die träumte schon seit zwölf vom Saufen und war dann erst um fünf Uhr voll“. Noch mieser ist die Stimmung der „Schnorrvögel“ im alten Müllpark um die Ecke, wo die funky Plastikfolienmenschen wohnen, und auch das Land bietet höchstens Anlaß zur resignativen Selbsteinschätzung: „Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten. Wir fanden uns ganz schön bedeutend.“
Von Dauer kann diese Erkenntnis (und das kurz aufleuchtende Wissen um die Existenz sozialer Verwerfungen) jedoch nicht gewesen sein, denn spätestens in den „Themenläden“ wird wieder klar, welche Fragen sich dem urbanen Berufsjugendlichen stellen: Hält dich das aus, was dich aufhält, gehörst du dazu, und wie hältst du das aus? Glücklicherweise sind die Sterne gegen Nörgeleien gewappnet, schließlich heißt es an anderem Ort: „Ich scheiß' auf deutsche Texte.“ Der klug gewählte Albumtitel erledigt den Rest.
Aus einer ganz anderen Schule kommen die Flowerpornoes bzw. Tom Liwa, der als unser Mann im Dschungel der großen Gefühle das Terrain sondiert. Ihm gelang etwa mit „Mamas Pfirsiche (für schlechte Zeiten)“ und „... red' nicht von Straßen, nicht von Zügen“ etwas, das hierzulande nicht eben häufig den Weg auf die Plattenteller findet: Präzise Momentaufnahmen des halben Lebens zwischen Melancholie und Alltag, die mit weichem Folksound und sauberem Songwriting vergessen lassen, wie viele nachdenkliche junge Männer schon auf dem Herzweg ins Fettnäpfchen gestolpert sind.
Verdammt schade also, da der eigenwillige Duisburger dieses Programm mit „Ich und Ich“ vorerst unterbricht und versucht, die Ich-Maschine an den Mainstream anzuschließen. Er will nun mal irgendwohin, ins „Stadion“ zum Beispiel, wie der Opener heißt. Dort laufen zehntausend unterbelichtete Leute mit Feuerzeugen herum und den fiesen Rockstars hinterher, doch wer Tom Liwa je im Duisburger Jugendzentrum live gesehen hat, weiß, daß Starallüren auch für ihn kein Fremdwort mehr sind. Klar ist es einsam da oben, aber nervt man deswegen die zwölf zahlenden Zuschauer mit halbstündigen Mitschnitten wichtiger Telefongespräche mit superwichtigen Leuten?
Auch ansonsten ist es Tom Liwa zu eng in seinem Leben geworden: Trugen früher die Songs noch recht bescheidene Titel wie „Kiosk“ oder „Höhlen voller Schrott“, steht inzwischen auch „Die Geschichte von Licht und Schatten im zwanzigsten Jahrhundert“ zur Diskussion. Der „König der Lügen“ fragt sich, ob es wohl jenseits der Todessehnsucht Liebe gibt (und jenseits dieser Liebe Leben), und findet die Antwort im alten Poesiealbum: „Deine Haut, dein Körper, dein Geruch – sind soviel eindeutiger als all die Worte und holen mich zurück.“
Zwischen Bedeutungsschwangerschaft und Beliebigkeit müssen Gags die leeren Zeilen füllen. „Sie sagt, ich bin jetzt wieder zusammen mit meinem Ex, manchmal fehlt mir der intellektuelle Scheiß, dafür hab ich wieder Sex“ – da hilft auch kein Leander Haussmann an der Mundharmonika, da hilft kein hidden track am Ende, da hilft kein okayes Van-Morrison- Cover.
Nicht einmal die tollen Gastmusiker und die fette Instrumentierung mit Bläsersatz vermag darüber hinwegzutrösten, daß Tom Liwa neuerdings „epische Breite“ mit der Dampfwalze produziert und der Indifferenz ein menschliches Antlitz verpaßt. Aber das wird schon wieder. Gunnar Lützow
Die Sterne: „Posen“ (L'Age d'Or/Epic, erscheint in zwei Wochen)
Flowerpornoes: „Ich & Ich“ (moll/EFA)
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