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■ Das Diepgen des TagesFugmann-Heesing

Liebe Annette,

du bist doch eigentlich eine ganz anständige Frau. Und Fahnenflucht ist das Letzte, was wir dir vorwerfen wollen. Aber was du dir jetzt leistest, das ist einfach zu viel. Du hast wohl noch nicht gemerkt, was hier los ist, oder? Aber mach doch was du willst. Ja, flieg nach Amerika, feier ordentlich mit den Wirtschaftsbossen. Wir schaffen das schon. Auch ohne dich. Ganz bestimmt.

Gut, die in Atlanta haben dich eingeladen ein paar nette Grußworte zu sprechen, wegen dem Fest der deutsch-amerikanischen Handelsvertretung. Gut, du willst da auch mit Southern Energy sprechen, weil denen eine Teil der Bewag gehört. Und wer weiß, vielleicht machen die noch ein paar Mark locker und kaufen dir den Flughafen ab. Und den deutschen Botschafter möchtest du auch noch sehen, ist ja auch ein netter Kerl.

Aber muss es gerade jetzt sein. Jetzt, wo der Walter nicht mehr weiterweiß. Ist doch auch nur ein Mensch, der Walter. Echt, Annette, der kann nicht mehr, der ist am Ende seiner Kräfte. Und du machst dich einfach aus dem Staub, lässt es dir nochmal gut gehen bei den Amerikanern. Als wenn es deine letzte Amtshandlung als Finanzsenatorin wäre, mit denen dort auf kalifornischen Wein anzustoßen.

Annette, wir brauchen jede Stimme! Und ohne dich schaffen wir es bestimmt nicht. Du hast doch die Stadt aus der Schuldenspirale geführt. Dafür hast du immer eisern gespart, jede Mark dreimal umgedreht, bevor sie ausgegeben wurde. Welcher Teufel hat dich eigentlich geritten, dass du jetzt auf Weltreise gehst?

Niemand von uns ist nachtragend, aber wenn uns die PDS überholt, dann bist du schuld! Und komm dann ja nicht an, du willst wieder Finanzsenatorin werden. So geht es echt nicht. Nicht mit uns. Ach, bleib doch am besten gleich da. Wander doch aus. Wir wollen dich nicht mehr! Ist doch alles egal jetzt. Alle verlassen uns, keiner hat uns lieb. Maaammiii!

Molly Bluhm

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