piwik no script img

Fürsorglich belehrende Unform

■ Kunstverein: Doppelausstellung mit Skulpturen von Henk Visch und Juan Munoz

Zwei Soldaten lehnen an großen Säulen und ein kleiner Balkon hängt hoch an einer großen weißen Wand: Es tritt auf die südländische Idylle. Was wie ein Bühnenbild zu Carmen wirken könnte, sind Plastiken des Madrider Künstlers Juan Munoz. Dabei geht es weniger um Poesie, als um die unterschwellige Härte der spanischen Kultur. Die Soldaten sind aus rostigem Eisen und wie Marionetten mit mechanischem Hebelwerk an die Säulen montiert. Und betrachtet man genau die Dimensionen des Balkongitters, ist der dazu angebrachte Verschlag trotz seines Fensters viel zu klein für Menschen. Denkt man jedoch in den Dimensionen des Verschlages, ist die Welt mit übermenschlich bedrohenden Gittern umgeben.

Überhaupt ist Idylle das ganz falsche Stichwort bei dieser neuen Ausstellung des Hamburger Kunstvereins. Eher schon geht es um den Mangel und den Umgang damit. Denn wie im Süden vieles, was dem Touristen nett erscheint, nur Armut ist, ist auch die gestern eröffnete Ausstellung am Klosterwall nur eine Notlösung.

Die mit wenig Geld und viel Entgegenkommen zusammengeliehenen Skulpturen ersetzen kurzfristig eine andere Ausstellung, die sich als nicht bezahlbar herausstellte. (Ein ausführlicher Beitrag über die Finanz- und Ausstellungssorgen von Kunstverein und anderen Instituten folgt Anfang nächster Woche.)

Die Figuren von Juan Munoz, fürsorglich belehrend oder erregt diskutierend, enden von der Hüfte abwärts in unbestimmten, sackförmigen Volumen: der Mensch, geistig beweglich aber zu wirklichen Änderungen unfähig.

Auch der zweite der ausgestellten Künstler, der Niederländer Henk Visch, hat, wie der nur drei Jahre jüngere Spanier, seine Kunst im Widerspruch zur Minimalart der siebziger Jahre entwickelt. Er verwendet unterschiedlichste Materialien, in denen so gänzlich andere Skulpturen entstehen, das ein gemeinsamer Stil nicht mehr auszumachen ist.

Da steht eine Figur aus Tüchern, die zwischen Bettlerin und Madonna, zwischen traditioneller Studie eines Faltenwurfs und einer Kaufhausdekoration angesiedelt ist. Da sitzt ein Gerippe aus Armierungseisen mit einem Toten- oder Narrenglöckchen. Und da windet sich eine gespenstische, schlangenlange Figur, die bittere Perlentränen weint und auf den wirklich rätselhaften Namen „Der Mann und das Kind“ hört.

Zu diesen Paraphrasen über die Möglichkeiten plastischen Arbeitens kommt eine neunzehnteilige Siebdruckserie. Hier erforscht eine menschliche Figur ihren Umraum. In ihrem Geworfensein zwischen Kreuze und Räder findet sie Räume zwischen Gitterfenstern und Gitterbildern oder fällt unter der Erinnerung an das „Schwarze Quadrat“ in Andacht. Insgesamt eine variantenreiche Reise voller Überraschungen bis hin zur echten Wäschekommode von Juan Munoz, in der sich in spanisch-surrealistischer Tradition nicht nur bronzene Pullover finden, sondern in deren geschlossenen Schubladen klar hörbar ein Regen tobt. Hajo Schiff

Kunstverein, Klosterwall 23, Di-So 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr; bis 27. August.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen