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Theresa Hannig Über MorgenFür überhebliche Besserwisser und Pseudo-Experten gibt es im Jahr 2125 eine Lösung: den Dunning-Kruger-Annihilator

Foto: privat

Jeder von uns kennt so einen: Den Nachbarn, der einem ungefragt die Strategie der Bundesregierung erklärt, oder den unangenehmen Typen im Restaurant, der die Kellnerin bei der Aussprache der französischen Gerichte korrigiert und dabei selbst die meisten Fehler macht. Peinlich! Noch schlimmer, wenn diese Leute es bis auf die Bühne der Weltpolitik schaffen und mit ihrer Inkompetenz und Überheblichkeit Millionen Menschen ins Unglück stürzen.

„Bitte sag mir, dass ihr für solche Leute eine Lösung gefunden habt“, flehe ich meinen zeitreisenden Freund Felix an, der mal wieder aus dem Jahr 2125 zu Besuch ist.

„Aus dem Privatleben sind die nicht wegzukriegen“, sagt er. „Aber immerhin schaffen wir es, sie von verantwortungsvollen Posten fernzuhalten.“

„Wie?“

„Wir nutzen etwas, das ähnlich funktioniert wie diese gelben Klebebänder, an denen Fliegen hängen bleiben, nur mit Menschen.“

„Klingt ziemlich drastisch!“

„Das ist nur bildlich gesprochen! Kennst du den Dunning-Kruger-Effekt?“

„Ja“, sage ich. „Das ist das Phänomen, dass Menschen sich umso mehr selbst überschätzen, je inkompetenter sie sind.“

„Genau. Und um den gesellschaftlichen Schaden dieser – nennen wir sie: Fakesperten – zu minimieren, haben wir den Dunning-Kruger-Annihilator (DKA) entwickelt. Das ist ein Verfahren, bei dem regelmäßig Stellenausschreibungen veröffentlicht werden, die viel Prestige versprechen, in Wahrheit aber nur Verwahrstationen für überhebliche Trottel sind. Wenn zum Beispiel verlangt wird, man solle Erfahrung im Handling von Fluxkompensatoren haben, die Zollbestimmungen von Lampukistan kennen oder sich für disruptive Synergie-Morphologisierung begeistern, dann winken seriö­se Experten ab – und Fakesperten bewerben sich.“

„Und dann?“

„Wer sich im Bewerbungsgespräch mit spezialisierten Psychologen tatsächlich als überheblicher Trottel qualifiziert hat, darf seinen neuen Job antreten.“

„Aber der checkt doch sofort, dass das Fake ist!“

„Im Gegenteil. Er hinterfragt die automatisierten Berichte oder Analysen nicht, weil er zu arrogant ist, um einen Fuß in die Produktion zu setzen oder mit den Arbeitern zu sprechen. Trotzdem bekommt er regelmäßig Lob- und Dankesschreiben, darf lange Berichte über seine eigenen Erfolge und die Defizite von Arbeitskollegen schreiben, Präsentationen über Optimierung der Geschäftsprozesse halten und vor allem: sich sehr wichtig fühlen!“

Beim Versuch, mir ein solches Unternehmen vorzustellen, bekomme ich eine Gänsehaut. „Irgendwann muss doch auffallen, dass der Typ nichts kann und auch nichts macht“, sage ich.

Der DKA ist wie diese gelben Klebebänder, an denen Fliegen hängen bleiben, nur mit Menschen

„Nein! Er ist ja nur von anderen Fakesperten umgeben, und ihr gemeinsames Interesse ist es, wichtig und kompetent zu scheinen – nicht zu sein. Und das funktioniert. Was im DKA passiert, bleibt im DKA. Eine perfekte, in sich geschlossene, simulierte Welt für überhebliche Trottel.“

„Aber wie schafft ihr das mit der Geheimhaltung? Was, wenn den Fakesperten jemand sagt, dass sie in einer Simulation leben?“

„Egal. Du kannst es ihnen ins Gesicht sagen und sie werden es dir nicht glauben. Im Übrigen sind die Fakesperten sehr zufrieden. Die DKA-Unternehmen werden regelmäßig zu den Top-Arbeitgebern gewählt, und von allen, die dort arbeiten, hat noch nie jemand gekündigt.“

Theresa Hannig, 41, ist Science-Fiction-Autorin, Politikwissenschaftlerin, Grünen-Stadträtin und ehemalige Softwareentwicklerin.

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