: Für immer Kraut
FESTIVAL Morgen beginnt das 7. Avantgarde-Festival in Schiphorst bei Hamburg, Europas größter Live-Event für experimentelle Musik. Highlight: Die Krautrock-Supergroup „Kraut für Ewig“
VON ROBERT MATTHIES
Ein echtes Monster erleben kann man ab morgen ganz in der Nähe von Hamburg, auf einem ehemaligen Gasthof im kleinen Dorf Schiphorst, nordöstlich von Großhansdorf. Dort lebt es gemeinsam mit Jean-Hervé Peron von der Krautrockband „Faust“ und seiner Partnerin Carina Varain – in deren Nacken. Ende August geht es alljährlich schlafen, spätestens ein, zwei Monate später wacht es wieder auf: „Wir sind nur seine armseligen Ausführer“, ist sich Peron sicher.
Gezeugt wurde das Monster in Perons und Varains Köpfen, als Traum. Ein Festival wollten sie veranstalten, Menschen zusammenbringen, aus Freude an der Musik und Kunst: geben, ohne etwas dafür zu erwarten. Vor 13 Jahren, als gerade genug im Kulissenbau verdientes Geld vorhanden war, erblickte der Spross schließlich das Licht der Welt. Zum ersten Mal luden Peron und Varain im Sommer 1996 Freunde auf ihren Hof, um all jener Musik einen Raum zu geben, die war, „wie die Leute, die sie machten: lebendig, aufregend, neu – Avantgarde.“
Seitdem haben die beiden die Hälfte des Jahres schlaflose Nächte. Und das nicht mal, weil das Untergrund-Festival ganz ohne Subventionen auskommen musste: jedes Jahr machten Peron und Varain zu Beginn bis zu 12.000 Euro Miese, trotz Mini-Gagen für die Künstler. Flugtickets für japanische Bands sind da nicht immer drin.
Aber wie Monster nun einmal sind, setzte sich das „Internationale Festival für experimentelle Musik“ über alle Grenzen hinweg. Aus dem Fest für Freunde ist längst Europas größter Live-Event für avantgardistische Musik geworden und ein wenig Zuschuss gibt es mittlerweile für das so hervorragend beleumundete Festival auch.
Rund 40 Bands und Projekte und nahezu dreimal so viele Künstler präsentieren sich in diesem Jahr. Schließlich geht es nicht nur darum, befreundete Musiker zusammenzubringen, die für außergewöhnliche Überraschungen gut sind. Peron und Varain wollen Kontakte knüpfen, zwischen Individualisten, die vor der Einmaligkeit des anderen Respekt haben. Und vor dem Publikum, denn das ist bisweilen gar nicht mehr von den Aufführenden zu unterscheiden und stürmt kurzentschlossen die Bühne, um mitzumachen: „Alle Anwesenden verschmelzen zu einer Gruppe, die nie wieder zusammenkommen wird, und für die jeder das Beste gibt, das er hat: sich selbst.“
Besondere Aufmerksamkeit bekommt dabei natürlich die alljährliche Wiederbelebung des Krautrock, jene experimentelle Musik der späten 60er und 70er, vor der vor allem die Briten damals die Häupter so tief verneigt haben. Auf Nostalgie wird dabei allerdings verzichtet, stattdessen wird neu interpretiert, neu zusammengesetzt und neu entdeckt. Highlight in diesem Jahr ist etwa das Projekt „Kraut für Ewig“, bestehend aus Musikern von „Faust“, „Kraftwerk“, „Neu!“, „Amon Düül“, „Fritz Müller“ und „GuruGuru“. Danielle Dax musste leider absagen, Dagmar Krause („Slapp Happy“) hat kurzfristig zugesagt und wird gemeinsam mit Peter Blegvad – Poet, Songwriter, Zeichner und Musiker von „Faust“ – John Greaves („Art Bears“) und Chris Cuttler („Henry Cow“) auftreten. Zum zweiten Mal in Folge ist außerdem Steve Stapletons „Nurse With Wound“ zu erleben.
Zum ersten Mal gibt es zudem einen Hamburger Ableger des Festivals: In der Astra-Stube findet am Freitag und Samstag das Avantgarde-Festival Hamburg unter anderem mit „Jetztmann“, „Nu & Apa Neagra“, „Analog Suicide“ statt.
■ Fr, 28. 8. bis So, 30. 8. auf dem Hof von Peron und Varain, Steinhorster Weg 2, 223847 Schiphorst Avantgarde-Festival Hamburg: Fr, 28. 8. + Sa, 29. 8., je 21 Uhr, Astra-Stube, Max-Brauer-Allee 200