: Für derlei hat man Einrichtungen
■ Zweimal Jahnn: „Spur des Dunklen Engels“ von der Studiobühne an der FU Berlin im Theater am Halleschen Ufer, „Medea“ im Maxim Gorki Theater
Einer der verstörendsten Vorgänge privater wie öffentlicher Selbstaufklärungsunternehmungen liegt darin, daß die bloß intellektuelle Annahme des Verdrängten den Prozeß der Verdrängung geradezu verstärken kann. Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich hat gezeigt, daß diese attraktive Form der Verdrängung ihren Ausdruck in Remythisierungen findet. Derartige Blockaden der Durcharbeitung ausgerechnet in einem so sinnlichen Medium wie dem Theater anzutreffen, ist erstaunlich, aber am Beispiel zweier Inszenierungen von Stücken Hanns Henny Jahnns derzeit in Berlin zu beobachten.
Die Studiobühne an der FU Berlin zeigte im Rahmen ihrer Hanns-Henny-Jahnn-Werkschau „Spur des Dunklen Engels“ von 1952. Dieses Stück hat die alttestamentarische Geschichte von König Saul und David zum Stoff. Es zeigt, wie das zunächst intentionslose Charisma des jungen David in den Sog politischer und sexueller Macht- und Gewaltaktionen gerät. Aus dem begehrten Künstlerknaben, der sich verschenkt, wird der berechnende Polit-Stricher. Was in der Vorlage als das zivilisatorisch zu Bindende vorgestellt wird, rückt Jahnn so fasziniert wie skeptisch als Motor des Geschehens ins grellste Licht: den Sexus.
Das ist es sicher auch, was das Ensemble der Studiobühne unter der Regie von Bernd Mottl interessiert hat. Gespielt wird im einfachen und assoziationsreichen Bühnenbild von Andrea Eisenstein: Durch eine zeltartige Bespannung (Wüste, Zirkus, Badestrand) wird ein Halbrund zur Spielfläche, in deren Mitte ein vielseitig nutzbarer Flügel (des Dunklen Engels) steht. Die Spiel- und Sprechweise der nichtprofessionellen Darsteller ist durchaus sicher, aber konventionell, inklusive ausgestellter homosexueller Gesten. Mit dieser braven Eindeutigkeit wird das Stück um die verstörende Grausamkeit seiner sexuellen Obsession gebracht. Es bleibt nur die Hingabe an einen Text, die suggeriert, alles schon hinter sich zu haben. Man hat den Eindruck, an einer privaten Veranstaltung teilgenommen zu haben.
In der Regie von Rolf Winkelgrund wird am Maxim Gorki Theater „Medea“ in der frühen Prosafassung von 1924 gespielt. Auch hier greift Jahnn auf einen alten Stoff, diesmal der griechischen Antike, zurück, auch hier archaisiert und modernisiert er zugleich. Gerade das macht das Unheimliche und Bedrohliche seiner Texte aus. Wenn ein Theater Jahnns „Medea“ der antiken Fassung vorzieht, ist das als Konzept zu verstehen.
Die Mitte des abstrakten Bühnenraums (Hartmut Meyer) nimmt ein Turm, ein Zylinder ein. Von oben nach unten verwischt sich dessen Farbgebung zu einem Schwarz-Rot-Gold. Aus der fremden „Barbarin“ des Euripides wird bei Jahnn die Ausländerin, die schwarze Medea. Dies und die Besessenheit vom Altwerden und sexuellen Ausgestoßensein der Frau sind zwei Akzente der Jahnnschen Fassung. Alles, was bei Euripides mit einer pietätvollen Scheu vor der Darstellung beklagt wird, ist bei Jahnn drastisch und detailversessen ausgemalt. Keine Hoffnung mehr auf Zivilisierung, sondern der gebannte Blick auf die Zerstörung der Leiber. Nichts, aber auch gar nichts davon ist in dieser Inszenierung zu sehen.
„Befreiung, Befreiung aus dem Joch, in das mich meine Sinne spannen! Ein Hirsch zur Brunstzeit, verschnittner Mörder möcht ich sein, nicht aber Jason, wildes Tier, gesetzlos, weil ich Gesetze nicht erfüllen kann.“ Winkelgrund läßt sich von derlei Abgründigkeiten nicht irritieren. Sein Jason (Gottfried Richter) gibt den eitlen Charme eines vordergründig zerknirschten Ehemanns, der bei einem seiner vielen läppischen Seitensprünge erwischt wurde. Die zentrale Stelle der Beschreibung der grauenvollen Zersetzung der Körper König Kreons und dessen Tochter spielt er als vergagte Hampelei. Medea (Anne-Else Paetzold) ist von Anfang an das keifende Weib. Lautstärke darf sie mit Intensität verwechseln. Nicht einmal der Ton einer leisen Lust der Zerstörung. Medea wird in dieser ärgerlichen Inszenierung zu einem schrulligen Sonderfall, für derlei hat man Einrichtungen, uns geht sie nichts an. Diese auch stilistisch fahrlässige Inszenierung spiegelt die Auseinandersetzung mit einem Stoff vor, dem sie sich an keinem Punkt stellt. Fasziniert, hier auch noch kleingläubig, behauptet sie die Macht gewalttätiger Ursprünge als unabänderlich, beutet die zerrissene Kraft des Jahnnschen Textes zu beruhigendem Schick aus. Thomas Milz
„Die Spur des Dunklen Engels“ wird im Fliegenden Theater weitergespielt, vom 31.3.–17.4., Do.–So., 20 Uhr, Hasenheide 54, Kreuzberg; nächste Aufführungen von „Medea“ heute sowie am 2. und 13.4., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Unter den Linden, Mitte.
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