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Für Muffel und Maniacs

■ Die »Select-Modemesse« im Hamburger Bahnhof

Modeschauen — nichts gibt es, was altklugen, Adorno lesenden Jugendlichen blöder vorkommt in der Welt als Modeschauen. Wo aus Glas und Wachs gebaute Frauen von Bienenschwärmen kleiner dunkelhaariger, pomadegeglätteter Männlein umschwänzelt werden, wo tatterige alte Tanten die Modellkörper junger Frauen geil als ihre eigenen betrachten. Kleidung ist außen, Kleidung ist oberflächlich, Kleidung ist überflüssig.

Bis zum Sonntag läuft die Select-Avantgarde-Modemesse Berlin, die — nach Aussage des Veranstalters — professionalisierte Nachfolgerin der Offline, jenem Kind Berlins kreativster Hinterhöfe. Weil sie aus dem Aschenputtel-Milieu nicht herausgekommen ist, sei sie dann auch pleite gegangen — den Fehler will man nicht wiederholen, hier ist jetzt alles »international«, Weltniveau sozusagen.

Wer erinnert sich nicht an die schicken Müllkostüme, mit denen Offline-Designer zumindest die szenegeilen Talkshows des Fernsehens erobert haben, jene Plastik- statt-Jute-Bewegung, damals als wir uns alle gefragt haben, ob die Kostüme nicht genauso pieken müssen wie die Windelüberzieher aus Plastik, die wir in den Sixties getragen haben.

Das ist nun alles Geschichte — der größte Teil des Dargebotenen ist »Prêt-à-porter«, durchaus auf jeder Party ohne Tumulte zu ertragen, bisweilen so grau wie die sprichwörtliche Büromaus. Aber schön anzuschauen ist doch vieles, nicht nur die coolen Typen, die diesen unvergleichlich stechenden Blick tatsächlich zwanzig Minuten draufhaben, ohne zwischendurch in blödes Grinsen zu verfallen, wie das doch sonst immer passiert, wenn man mit der Sonnenbrille auf der Nase im Nachtclub gegen die Bedienung läuft.

Wo denn der Trend hingeht in diesem Jahr — die taz hat es schon am Dienstag berichtet: »weg vom Trend« geht er, und »bunt, sehr knallig« wird es. Wunderschönes ist aus Lettland nach Berlin gelangt, unter schwarzweißen Umhängen aus handbemaltem Chiffon biegen sich purpur und lila Kostüme, »wie auf den Körper genäht«, empörte sich die Kollegin vom Berlin-Teil bei der Vorführung. Aber zart und nicht so klischeehaft wie jene Leinenkostüme aus Bayern, »kombiniert mit Bluse und Top aus Organza«, mit angehängten Palmzweigen und im Schnitt permanent an jenen Kiddie- Hit erinnernd: Geh'n wie ein Egyptier. Mit mehr »drunter als drüber« wirbt — natürlich — eine Berliner Werkstatt, die nehmen den Mund ja gerne voller als die Hose. Scharf rangehen kann man damit allerdings wirklich nicht mehr, sind doch die zartesten Teile in schwarze Spitzendeckchen eingewickelt — würde ja alles zerreißen.

Modenschauen sind irgendwie doch stark, einfach wegen der coolen Jungs und den hauchzarten Mädchen und dem vielen Stoff und überhaupt ist alles so schön bunt hier. Joachim Schurig

Die Messe ist noch bis Sonntag täglich geöffnet von 17 bis 24 Uhr, Schauen jeweils um 18 und 21 Uhr im Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50-51, 1/21

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