: Für Auge und Gemüt
■ S.H.I.T. mit Shakespeares »Was ihr wollt« im Kulturhaus Treptow
»Liebe sieht mit dem Gemüt nicht mit den Augen«, heißt es in Shakespeares Sommernachtstraum. Das ist zum Glück nur ein frommer Wunsch, denn wenn es so wäre, hätte Shakespeare keine seiner Komödien schreiben müssen. Auge und Gemüt sind nicht zu trennen, es kommt nur darauf an, welches von beiden zuerst liebt. Ist es das Auge, dann folgt das Gemüt auf dem Fuße. »Des Augs Verirrung lenkt zugleich die Seelen«, seufzte Cressida. In Shakespeares letzter wirklich komödiantischer Komödie gehorchen Auge und Gemüt heimlich einem ganz anderen Trieb: der Lust an der Unerfüllbarkeit. Orsino liebt Olivia, nicht weil sie schön und geistreich ist, sondern weil sie ihm keinerlei Hoffnung auf Erfüllung macht. Und Viola verliebt sich in Orsino in der nämlichen Sekunde, in der sie begreift, daß ihr nur der Part der Postbotin seines Liebeswerbens zukommt. Olivia hat keine andere Wahl, als der in einen Knaben verkleideten Viola zu verfallen, weil Viola für nichts und niemanden ein Auge hat, mit Ausnahme ihres Herren. Es fehlt nicht viel und die Liebenden müßten furchtbar Schiffbruch erleiden. Bis zum letzten Moment könnte die Komödie ins Tragische umschlagen. Aber Shakespeare ist gnädig; er heilt Gleiches mit Gleichem. Ein Schiffbrüchiger rettet die Schiffbrüchigen. Violas totgeglaubter Bruder Sebastian löst die heillose Verwicklung. Nun wird, was der wahren Liebe an Augenlust oder Gemüt noch fehlte, im Fluge nachgeholt, und alles ist im Lot.
Man darf Shakespeare ruhig unterstellen, daß ihm die verschrobenen Figuren seiner Komödie mehr am Herzen lagen als die »falsch« Liebenden. Deshalb steht und fällt jede Inszenierung von Was ihr wollt mit der Komiker-Truppe der Junker Tobias Rülps und Bleichenwang, der Kammerzofe Maria und der Dieners Fabio. Im Grunde haben die vier weiter nichts zu tun, als dem Haushofmeister Malvoglio eins auszuwischen, aber das tun sie mit Inbrunst. Die Inszenierung der Shakespeare Initative Treptow (kurz: S.H.I.T.) hält mit einer verblüffenden Sicherheit die Szenen reiner Komik und die der fast tragischen Gefühlsverwirrung im Gleichgewicht. Erstaunlich ist das nicht nur deshalb, weil hier sieben SchauspielerInnen einundzwanzig Rollen spielen, sondern auch, weil der kleine Raum im Kulturhaus Treptow denkbar ungünstige Voraussetzungen bietet. Wenn Publikum und Schauspieler sich zu nah beieinander befinden, besteht immer die Gefahr, daß die Zuschauer zuviel schauspielerische Technik sehen.
Den S.H.I.T.-Darstellern ist es unter der Regie von Rüdiger Meinel gelungen, ihr Spiel auf die räumlichen Möglichkeiten sehr genau abzustimmen. Die Komik von Gestik und Mimik entsteht oft durch die Behutsamkeit, mit der sie eingesetzt werden. Wenn das Trio Tobias Rülps, Fabio und Bleichenwang sich vor Malvoglio verstecken will, dann wälzen sich die Schauspieler einfach zu seinen Füßen, weil der hochmütige Haushofmeister ohnehin nur zur Kenntnis nimmt, was sich in seiner Augenhöhe abspielt. Daß man den Raum nicht als Behinderung wahrnimmt, spricht für die präzise Arbeit der Gruppe. Und nur der Respekt vor dem Original und der Ehrgeiz, die Komödie ungekürzt zu spielen, hemmen bisweilen die improvisatorischen Möglichkeiten der Schauspieler.
S.H.I.T. benutzt die Schlegel/ Tieck'sche Übersetzung als Grundlage. Wendungen, die den Schauspielern zu romantisiert erschienen, wurden nach eigenem Gusto verändert. Einmal wird die Schwierigkeit, Shakespeare ins Deutsche zu übertragen, sogar mitgespielt. Die Schauspielerin überlegt laut, wie sie »frailty« übersetzen könnte, findet die Bedeutung des Wortes irgendwo zwischen Schwachheit und Weichheit und entscheidet sich mit echtem Finderglück für »Schweichheit«. Von solchen Wortschöpfungen wünscht man sich noch viel mehr. Doja Hacker
Was ihr wollt, im Kulturhaus Treptow, Puschkinallee 5, bis 17. Juli. Mi auf Vorbestellung, do 21.00 Uhr, fr/sa 19.30 Uhr.
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