piwik no script img

Fünf Tage vor dem Ablauf des UNO-Ultimatums:Gipfeldiplomatie gegen den Krieg

■ Fünf Tage vor dem Ablauf des UNO-Ultimatums, das den Irak zum Rückzug aus dem besetzten Kuwait zwingen soll, führt die Gipfeldiplomatie noch einmal die Unerschütterlichkeit der jeweiligen Positionen vor. Hinter den Kulissen wird allerdings an den Details einer arabischen Lösung gefeilt. Der Friedensforscher Johan Galtung schlägt einen der KSZE vergleichbaren Konferenz-Prozeß für die arabische Welt vor.

Unmittelbar vor dem mit Spannung erwarteten amerikanisch-irakischen Außenministertreffen in Genf haben beide Seiten ihre Standpunkte in der Golfkrise noch einmal bekräftigt. US-Außenminister James Baker, der am Dienstag seine Europareise zu den Verbündeten fortsetzte, und der irakische Amtskollege Tarik Asis forderten sich gegenseitig dazu auf, den ersten Schritt zum Abwenden des drohenden Krieges zu tun. Gleichzeitig kündigten arabische Staaten ein Gipfeltreffen für den Tag nach dem Genfer Gespräch an.

Im Krisengebiet am Golf kam es zu einem aufsehenerregenden Desertionsfall: Sechs Hubschrauber der irakischen Streitkräfte landeten am Montag in Saudi-Arabien. Die Piloten baten US-amerikanischen Angaben zufolge um Asyl.

US-Außenminister Baker bemühte sich nach seinem Gespräch in Paris, Bedenken an der Solidarität zwischen Frankreich und den USA in der Golfkrise zu zerstreuen. Die beiden Länder stimmten überein, daß es keine nachträglichen Verhandlungen über die UNO-Resolutionen und das für den 15. Januar festgesetzte Ultimatum zu einem Abzug des Iraks aus Kuwait geben sollte, sagte Baker nach einem eineinhalbstündigen Gespräch mit Staatspräsident Fran¿ois Mitterrand. Man sei sich einig, daß Verhandlungen „nicht einmal angedeutet“ werden sollten, erklärte Baker. Übereinstimmung hätten die Gespräche auch darüber gebracht, daß es „keinerlei Verbindung“ zwischen der Räumung Kuwaits durch den Irak und „anderen Fragen“ geben werde.

Sowohl Baker als auch Asis erklärten, ihre Regierungen seien auch weiterhin nicht bereit, Abstriche an ihren Forderungen an die Gegenseite zu machen und sagten, man solle besser nicht zu hohe Erwartungen in das Treffen in Genf setzen. Baker sagte vor seinen Besuchen in Paris, Bonn und Rom, die einzige Möglichkeit, den Krieg in letzter Stunde noch zu vermeiden, sei der Rückzug der irakischen Truppen aus dem eroberten Kuwait. Der Weltsicherheitsrat hatte Bagdad dafür eine Frist bis zum 15. Januar gesetzt. Baker bekräftigte, daß eine Verlängerung dieses Ultimatums für die USA nicht in Frage komme. Der Unterstützung der britischen Verbündeten in dieser Frage hatte sich Baker am Montag in London versichert.

Asis forderte seinerseits die USA dazu auf, in das Gespräch in Genf im Geist des Friedens zu gehen und die Drohung mit Krieg fallenzulassen. Sollte es zum Kampf kommen, werde es einen „blutigen, langen und schrecklichen Krieg“ geben, vor dem Bagdad nicht zurückschrecken würde. Leichtes Spiel würden die USA jedenfalls nicht haben, fügte Asis hinzu. Der Minister wiederholte die Ankündigung Bagdads, daß Israel zum Kriegsschauplatz gehören würde, nachdem die ersten Schüsse gefallen seien.

Die 'Financial Times‘ berichtet am Dienstag aus London, daß westliche Regierungsbeamte befürchten, Saddam Hussein werde in letzter Minute die Welt mit der Behauptung überraschen, der Irak verfüge über eine bislang unbekannte „Wunderwaffe“, etwa eine rohe Form einer Atombombe. Es gebe zwar keine harten Beweise über eine nukleare Waffe des Iraks, aber es ist bekannt, daß das Land seit dem Ausbruch des Krieges gegen den Iran im Jahre 1980 sich heimlich die Technologie für atomare, biologische und chemische Kampfführung im Westen beschafft hat. In den letzten Wochen hat der Irak sich mit seiner militärischen Schlagkraft gebrüstet. Ein Experte des US-Kongresses sagte dem Wirtschaftsblatt, man sei Ende letzter Woche in Sorge gewesen, daß Saddam den Besitz einer Nuklearbombe behaupten werde.

Aus Paris kam am Dienstag der Vorschlag, auf ein mögliches Scheitern der Begegnung in Genf mit einer französisch-arabischen Friedensinitiative zu antworten. Michel Vauzelle, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Nationalversammlung, sagte, der Versuch, den Krieg zu vermeiden, dürfe nicht an Erfolg oder Mißerfolg des amerikanisch-irakischen „Nicht-Dialogs“ gebunden werden. Nach einem Scheitern dürften die Europäer nicht untätig bleiben, fügte Vauzelle hinzu, sondern sollten sich mit bestimmten arabischen Staaten zu einem diplomatischen Vorstoß zusammenfinden. Vauzelle hatte am Samstag vergangener Woche im Rahmen einer als privat bezeichneten Reise in Bagdad vier Stunden lang mit Saddam Hussein gesprochen.

Die 'Washington Post‘ berichtet aus Bagdad, Vauzelle habe von Saddam Hussein die Zusage erhalten, daß der Irak zu „Opfern“ bereit sei, falls der Irak eine Nichtangriffsgarantie erhalte und die internationale Gemeinschaft sich mit den Problemen der regionalen Sicherheit befassen werde. Dabei müßten die Interessen des Irak mit denen Israels und des Iran ausgeglichen werden. Als dritte Forderung habe Hussein verlangt, daß die Opec eine Stabilisierung des Ölpreises sowie eine höhere Förderquote des Iraks garantieren müsse. Interessanterweise habe Saddam Hussein gegenüber Vauzelle nicht mehr darauf bestanden, daß zu einer Lösung der Golfkrise erforderlich sei, die Palästinafrage auf die Tagesordnung zu bringen.

Der saudische König Fahd hat am Sonntag angedeutet, daß er einem von westlichen Diplomaten vor einigen Tagen gemeldeten Plan für eine diplomatische Lösung zustimmen könnte. Dem Plan zufolge würde sich der Irak aus Kuwait zurückziehen und mit der dann dort amtierenden Regierung eine Lösung aller Streitpunkte zwischen Kuwait und Irak aushandeln.

Der irakische Informationsminister Latif Nassif Dschassim hat am Dienstag jedoch Berichte von einer möglichen französisch-arabischen Friedensinitiative dementiert, die Vauzelle angeregt hatte. Die irakische Regierung habe nichts von einer derartigen Initiative gehört, sagte Dschassim, der auch Mitglied des Revolutionären Führungsrates des Irak ist. Er hoffe, daß die Begegnung des US-Außenministers Baker mit seinem irakischen Kollegen Tarik Asis ein Vorspiel zu einem grundlegenden Dialog sei. Der ehemalige Pressesprecher von Staatspräsident Fran¿ois Mitterrand hatte am Samstag ein mehr als vierstündiges Gespräch mit dem irakischen Staatschef Saddam Hussein geführt. Befragt zu Meldungen über eine mögliche Bagdad-Reise des französischen Außenministers, Roland Dumas, im Falle des Scheiterns des Baker-Asis-Gespräches sagte Dschassim, jeder sei willkommen, der dem Frieden dienen wolle. Er sei über einen möglichen Besuch eines Vertreters der französischen Regierung nicht informiert. Wenn Europa den Einflußbereich der USA verlasse, könne es eine neue Rolle spielen, betonte der irakische Informationsminister. „Wenn es jedoch abhängig bleibt, bleibt die Lage gefährlich“, fügte er hinzu. Niemand könne dem Irak irgendwelche Bedingungen aufzuzwingen. Der Irak weiche nicht davon ab, daß Kuwait die 19. Provinz des Landes sei: „Der 15. Januar ist für uns ein Tag wie jeder andere.“ afp/ap/taz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen