: Fucking Old Life
■ Ralf Rothmann las bei Kiepert aus seinem ersten Roman »Stier«
An der Schreibweise sollst du sie erkennen. Ralf Rothmann schreibt den Namen seines Romanhelden »Kai Carlsen« eben nicht — wie noch in den fünfziger Jahren — mit zwei klassischen »Cs« und auch nicht, wie in den Achtzigern, mit zwei modernen »Ks«. Statt dessen ein »mixed couple«, weich und hart. Subtil!
Der Mann in Schwarz liest im Antiquariat Kiepert aus seinem Roman Stier. 1953 ist er geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen, Volksschule, Maurerlehre, Krankenpfleger. So eine durchwachsene Biographie klingt in Verlegersohren nach mehr, ist so schön unkonventionell und überaus geeignet, einen vorzeigbaren Vollblutliteraten heranzuzüchten. »Aber irgendwann reicht es eben nicht mehr, eine Geschichte zu haben. Irgendwann brauchst du ein Schicksal«, steht allen Ernstes auf dem Cover des Buchs. Kein Wunder, daß Rothmanns Epigonen schon in den Startlöchern sitzen. Die Lesung als Nachhilfeunterricht.
Was Ralf Rothmann literarisch fabriziert, angefangen vom Gedichtband Kratzer (1983), gefolgt von den Erzählungen Messers Schneide (1986) und Windfisch (1988), ist immer irgendwie grobschlächtig und aus dem Suhltopf des fucking old life gegriffen. Frenetisch (»Blutfleck im Sand«, »Die Erinnerung, das Glück«) hat die Kritik das Romandebüt gefeiert, eine »literarische Verheißung« löse er ein, gleich der erste Satz: »An dem Tag, an dem mir auffiel, daß es nichts Zufälliges mehr gibt, war die Jugend vorüber«, schlage die LeserInnen in seinen Bann... Wirklich?
Die Geschichte von Stier liest sich etwa so: Mann ist schallempfindlich, weil Schriftsteller, erinnert sich: an die Zeit als »Rotlichtkasanova« im Ruhrgebiet, in der er in die Kultszene der Essener Disco »Blow Up« und in die Untiefen der Hermann-Hesse- Lektüre der jungen Greta gerät. Mann findet prima Kumpel in Ecki Eberwein, Salzburger, dem Rausschmeißer, und Schnuffi, dem Brandstifter. An den Namen, wiederum, soll'n wir sie erkennen: ein Name, mal profan wie eine Stadt, mal lieblich wie ein Hundelockruf. Zuletzt wird Kai Carlsen Krankenpfleger auf einer Dialyse-Station, macht einer Krankenschwester in der Leichenhalle eine Liebeserklärung, sieht zu, wie Ecki stirbt. Und bleibt dabei ganz Mensch. Was für ein moderner Stoff.
Ironisch und spritzig, der Lächerlichkeit vorauseilend, und doch einfach und echt soll der Roman wohl sein. Manchmal riskiert er allerdings ein Abstraktum zuviel (»...eigentliche Belästigung in der Rätselhaftigkeit bestand«). Wer es hören will, erfährt: »Lieber Himmel, war das eine Zeit damals, Schnuff und meine Wenigkeit in Iserlohn. Kannst du dir vorstellen, wo Iserlohn liegt? Das kann sich keiner vorstellen, keine Sau. Iserlohn liegt unter der Erde, aber das wissen die nicht. Meine Fresse, war das eine Zeit. Gar nicht so übel.«
Ob der Erfolg seines Schreibens in der Intensität der Gefühle begründet sei, will eine Zuschauerin im Anschluß an die Lesung wissen. »Mir geht es nicht um Gefühle«, kontert Rothmann und setzt patzig nach: »Ich schreibe in erster Linie für mich — und vielleicht noch für meine Freundin.« Autobiographisch-gefärbte Prosa, die schreibe er schon, gesteht Rothmann noch zu. Dann rauscht er ab, zu Nick Cave ins Tempodrom. Mirjam Schaub
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