Fête de la Musique in Berlin und überall: Auf zum Corona-Jam!
Zurück zu den Wurzeln: Die Fête de la Musique wird trotz Corona stattfinden, und nicht nur im Internet. Jede/r ist aufgerufen, Musik zu machen.
Nein, coronatauglich ist diese Maske nicht. Wenn Junk-E-cat auf die Bühne geht, muss der Mund unbedeckt bleiben. Denn damit spielt der Musiker das Saxofon und die Bassklarinette, deren Töne er dann sofort in den laufenden DJ-Mix einbaut.
Es war diese ebenso zeitgemäße wie technisch virtuose Kombination aus handgemachter und elektronischer Musik, auf die die Organisatoren der Fête de la Musique aufmerksam wurden. Und dass der Berliner Künstler bei seinen Auftritten neben einem Overall stets eine Maske trägt, die den oberen Teil seines Gesichts verhüllt, war zwar nicht der Grund, dass er bei der Fête auftreten wird, kann aber durchaus als ironischer Kommentar zur Situation der Veranstaltung gelesen werden.
Denn wenn Junk-E-cat am 21. Juni zwischen Rohrblattinstrumenten und Mischpult hin- und herhuscht, wird auf dem Dach des Centre Français de Berlin in der Müllerstraße im Wedding natürlich kein leibhaftiges Publikum dabei sein. So wie generell bei der diesjährigen Fête de la Musique. Ausgerechnet die 25. Auflage des riesigen kostenlosen Events, zu dem sich sonst die Massen vor Dutzenden von Bühnen drängen, wird ganz anders aussehen als gewohnt.
Nichtsdestotrotz wird das Jubiläum kein stilles. Auch 2020 soll zum Sommeranfang in Hunderten Städten auf der ganzen Welt Musik gemacht und gehört werden. Nur dass die Bühnen diesmal nahezu ausschließlich im Internet aufgebaut werden. „Im Grunde genommen reden wir von einer abgesagten Veranstaltung“, sagt Cheforganisator Björn Döring, „und von einer komplett neuen Veranstaltung, die alle Abstands- und Hygienevorschriften einhält.“ Die Fête ist tot, es lebe die Fête.
Umplanen in Windeseile
Nur zweieinhalb Monate blieben Döring und seinem Team, um vom Beginn der Corona-Maßnahmen bis zum 21. Juni eine völlige Neukonzeption und Organisation auf die Beine zu stellen. Geplant ist, dass die unzähligen Bands, Künstler und Chöre zwar nicht mehr auf einer der 180 in der ganzen Stadt verteilten Bühnen auftreten, sondern trotzdem live, aber vor allem per Stream im Internet.
Der Zuspruch hat die Macher der Berliner Fête überrascht: „Eigentlich herrscht ja eine bedrückte Stimmung, weil viele, die in der Musikbranche arbeiten, in ihrer Existenz bedroht sind“, sagt Döring. „Umso schöner ist es, wie schnell Künstler, Vereine und Institutionen reagiert und sich gemeldet haben, um mit uns zusammen an einer Alternative zu arbeiten.“
Das Programm der umgebauten Fête und die dazugehörigen Links sollen auf der Homepage gelistet, die Musikerinnen und Musiker bei der technischen Umsetzung und mit Tutorials unterstützt werden. Auch der traditionelle „Singalong“ soll stattfinden, nur eben nicht mit 3.500 Menschen auf dem Gendarmenmarkt, sondern im Kooperation mit dem RBB als Massenkaraoke übers Netz. Schließlich wird es einen quasi offiziellen Stream der Fête de la Musique geben: 20 Städte senden jeweils 21 Minuten Live-Konzert, den Berliner Part übernimmt Junk-E-cat.
Damit die 25. Fête de la Musique trotzdem keine reine Couch-Potato-Veranstaltung wird, sind die Berlinerinnen und Berliner dazu aufgerufen, den ursprünglichen Geist der Veranstaltung wiederzubeleben: Jede und jeder soll Musik machen – ob im heimischen Wohnzimmer, auf dem Balkon, durchs offene Fenster, im Park, für die Nachbarn oder zufällige Passanten, aber vor allem: spontan. Angekündigte Konzerte sind weiterhin nicht erlaubt, aber Musikmachen, auch öffentliches, ist natürlich nicht verboten, solange die Abstands- und Hygienevorschriften eingehalten und Massenaufläufe vermieden werden.
So könnte die Fête de la Musique, die andernorts nicht umsonst Make Music Day heißt, wieder zu dem werden, was die Erfinder im Sinn hatten: weniger Profis auf von Konzernen gesponserten Bühnen, mehr Amateure, die für sich und miteinander spielen. Weniger Musikkonsum, mehr Musikselbermachen.
Wie die Fête dann tatsächlich ablaufen wird, hängt natürlich extrem davon ab, wie sich die Pandemie und die dazugehörigen Vorschriften entwickeln werden. Womöglich sind am 21. Juni ja kleinere Veranstaltungen zumindest im Freien oder andere, kreative Formen wieder möglich. Das wird man abwarten müssen. Der Veranstalter, das Musicboard des Berliner Senats, kann natürlich nicht zu Aktionen auffordern, die die Hygieneregeln unterlaufen.
„Wir werden den Live-Charakter der Fête natürlich vermissen“, erklärt der ehemalige Musikjournalist Döring. „Aber wir sind wie alle anderen auch davon abhängig, wie es mit den Lockerungen weitergeht. Wir werden auf jeden Fall alle Vorschriften einhalten.“
So ist die Fête de la Musique 2020 ein work in progress. Wie die Veranstaltung schließlich aussehen wird, weiß niemand, nicht einmal der erfahrene Eventorganisator Döring, der von 2010 bis 2013 federführend für die Berlin Music Week verantwortlich zeichnete: „Ein bisschen fühlen wir uns wie in einem Labor. Noch rühren wir in den Reagenzgläsern – und ob das Experiment gelingen wird, das wird man erst hinterher sagen können.“ Tatsächlich leistet die Forschergruppe Döring – wie zuvor re:publica und Media Convention, die Anfang Mai komplett im Netz stattfanden – einen nicht zu unterschätzenden Beitrag bei der Suche nach alternativen Veranstaltungsformaten.
Ein Suche, die wichtig werden kann für die ganze Branche. Dass in Südkorea, wo das Virus scheinbar unter Kontrolle schien, kürzlich ein auf eine Bar zurückzuführender Neuausbruch passierte, hat vor Augen geführt: Clubs und Discotheken werden wohl erst dann wieder regulär öffnen können, echte Konzerte erst dann wieder stattfinden können, wenn ein Impfstoff oder Medikamente entwickelt worden sind.
Bis es so weit ist, könnte die Berliner Musikinfrastruktur eine Tabula rasa sein. Daran dürfte auch eine alternative Fête de la Musique, sei sie auch noch so ein großer Erfolg, nichts ändern. Aber ein paar positive Lerneffekte erhofft sich Döring doch: „Wir alle werden gezwungen, viel vernetzter zu denken und die hybriden Formate, die in der Musik ja schon lange eine Rolle spielen, weiterzuentwickeln.“
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