■ Die Hessen-Grünen wählen einen neuen, linken Landesvorstand: Frühlingserwachen
„Vor ein paar Wochen war ich noch in Hochstimmung – und jetzt: Jedesmal wenn ich den Fernseher anschalte, schießen mir die Tränen in die Augen.“ Mit diesen Worten wendete Daniela Wagner, die grüne Umwelt- und Schuldezernentin aus Darmstadt, das Blatt. Fünf Stunden später wurde sie mit überwältigender Mehrheit zur neuen Landesvorstandssprecherin gewählt. Das Herz, das linke Herz, bescherte den hessischen Grünen einen neuen, Hoffnung erweckenden Landesvorstand.
Die hessischen Grünen waren nach Hofheim gekommen, um die Wahlniederlage zu debattieren und einen neuen Anlauf zu nehmen. Hessen ist überall – in Hofheim hat sich die grüne Seele in ihrer ganzen Verletzlichkeit gezeigt, in einer Dramatik, die ihresgleichen sucht. Hier die kalte, selbstmitleidige Wut des scheidenden Landesvorstands und seines Geschäftsführers, die sich gegenseitig ihrer organisatorischen Brillanz versicherten, um endlich für die Öffnung der Partei in die Gesellschaft bis hin zur „banking community“ zu plädieren. Dort Daniela Wagner, die die grüne Identität beschwor und die Versammlung zu stehendem Beifall hinriß.
Daß es auch weiterhin nicht gelingen werde, jede Kritik am (früheren hessischen) Regierungskurs als fundamentalistisch zu schmähen, daß gerade eine kinderfreundliche Politik Geld koste und deshalb Steuern zu erheben seien, daß es sinnlos sei, jene Wähler, denen es noch um traditionell grüne Themen wie den Flughafen ging, als altbacken zu beschimpfen, daß der Umgang Schröders mit den Grünen deren Selbstachtung beeinträchtige – es waren nicht nur Wagners Argumente, sondern vor allem ihre leidenschaftliche Form, die die hessischen Realos bewog, das Lieblingsprojekt des Ministerflügels, die Strukturreform, von der Tagesordnung zu nehmen. Dieser Ministerflügel hat der Niederlage in Erfurt zum Trotz nicht verstanden, daß die Partei zu Änderungen nur bereit ist, wenn in Bonn deutliche Erfolge ihrer Kabinettsmitglieder zu verzeichnen sind.
Dieser Blindheit fiel der junge Bundestagsabgeordnete Berninger zum Opfer, der ein echtes „Zukunftsthema“, nämlich die Politik der Lebensformen – Kinder, Ehe, Liebe und Freundschaft – unter dem mißverständlichen Etikett der „liberalen Familienpolitik“ debattieren wollte. Indem der nordhessische Newcomer dieses „weibliche“ Thema mit seinem „männlichen“ Anspruch auf Macht, den Landesvorsitz und einer nur seinetwegen zu exekutierenden Trennung von Amt und Mandat verknüpfte, hat er der Sache einen Bärendienst erwiesen. Am Ende gar verstrickte er sich in einen typisch hessengrünen Deal. Als Gegenleistung für den Verzicht auf seine Kandidatur sollte die Versammlung der Trennung von Amt und Mandat zustimmen. Da niemand verstand, warum dies nach seiner Verzichtserklärung noch nötig war, hatte der Ministerflügel eine mehrfache Niederlage zu verbuchen: einen angeschlagenen Bewerber, eine massive Abstimmungsniederlage und einen neuen Landesvorstand, der deutlich links steht.
Damit markiert Hofheim eine Zäsur: Die Zeit der Macher, Machos und Strippenzieher neigt sich mindestens in Hessen ihrem Ende zu. Sie haben ihre Chance gehabt, aber nicht genutzt. Zugleich zeigte sich, daß die Partei in den Kommunen noch über Frauen und Männer verfügt, die mit ihrer Lebenserfahrung der allseitigen Resignation Hoffnung entgegensetzen können. Das neugewählte Sprecherpaar, Daniela Wagner und Hartmut Bäumer, werden den hessischen Landesverband behutsam modernisieren und der Partei die Sicherheit geben, daß die bitter notwendigen Kontroversen in der Sache nicht zum Ausverkauf ihrer Überzeugungen führen werden.
Wenn schon die hessischen Grünen, als ultrarealpolitischer Landesverband verschrien, den vermachteten Strukturen einer nur noch auf organisatorische Effizienzsteigerung setzenden Politik eine Absage erteilt, dann offenbart das eine Situation der Gesamtpartei, die Bonn nicht länger vernachlässigen darf. Sonst könnte es Fischer & Fischer & Trittin alsbald ergehen wie seinerzeit dem Sozialdemokraten Helmut Schmidt, der nicht an der Opposition, sondern an der eigenen Partei scheiterte. Micha Brumlik
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen