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Früher fuhr ich mit der Gondel auf den Berg. Jetzt fahre ich mit der U-Bahn an den Stadtrand. Es ist fast dasselbeWunderbare Bergwelt

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Als Kind war ich viel in den Bergen, Skifahren, Wandern, Essen auf der Hütte, Schlafen manchmal auch. Für den Weg nach oben benutzten wir immer eine Gondelbahn. Tolle Sache: Man steigt im Tal ein, passiert die Zwischenstation, steigt am Gipfel wieder aus und hat, wenn alles passt, super Sicht und eine Hütte.

Jetzt wohne ich am nördlichen Hamburger Stadtrand und was in den Bergen die Gondel ist, ist in Hamburg die U-Bahn. Die fährt mich aus dem Tal, also aus St. Pauli über die Zwischenstation Osterstraße nach ganz oben zur Endhaltestelle Niendorf-Nord. Warum die Osterstraße die Zwischenstation ist? Weil sie der letzte Halt ist, bevor oben die Luft dünn wird, was städtisches Leben betrifft.

Da lebe ich also in meiner Niendorfer Hütte, lasse mich einschneien, mache die Rollläden runter, wenn der Wind weht und hole mir meine Lebensmittel in einer Speisekammer, die immer voll ist. Die Speisekammer heißt Rewe und in ihr gibt’s alles, was man braucht im Winter: Alpenmilch, Alpenbutter, Bergkäse.

Nicht weit von meiner Hütte gibt es ein Gasthaus, die A2 Weinstube, spezialisiert auf österreichische Köstlichkeiten. Warum sich das Gasthaus nach einer Autobahn benannt hat, weiß ich nicht, aber es gibt Germknödel und Almdudler und wenn der Frühling kommt, gehe ich vielleicht mal hin. Mal schauen, ich will mir nicht zu viel vornehmen für dieses Jahr.

Außerdem gibt es in meinem Bergdorf noch die Gaststätte Alpenhütte, in der angeblich sogar getanzt wird. Im Internet erzählt man sich, dass das Publikum dort gewöhnungsbedürftig ist. Vielleicht gehe ich im Sommer mal hin. Wobei, im Sommer wollte ich in die Gaststätte Schweizer Haus, da kredenzen sie die weltberühmten Schweizer Spezialitäten Tapas und Burger. Soll nett sein da, aber laut.

Kürzlich stand vorm Rewe ein interessanter Straßenmusiker, roter, dreckiger Skioverall, lange blonde Haare, runtergerockte Gitarre und eine Tasche mit seinen Habseligkeiten daneben. Der Straßenmusiker sang den 80er-Hit „Fürstenfeld“ der österreichischen Band STS: „I will wieder ham / fühl mi do so allan / I brauch ka grosse Welt / i will ham nach Fürstenfeld.“

Der Straßenmusiker sprach das „ham“ komisch aus, eher wie „heim“ und ich dachte: Das ist ein Österreicher, der den Text für sein Hamburger Publikum ans Hochdeutsche angleicht. Ich hörte eine Weile zu und begriff, dass es andersherum war: Hier sang ein Hamburger, der Probleme mit dem Österreichischen hatte. Dass er heim nach Fürstenfeld wollte, war nicht wörtlich gemeint, sondern Ausdruck seines Gefühls, auch in Hamburg nicht heimisch zu sein.

Das rührte mich. Ich hoffe, er tritt hier oben mal wieder auf. Die Gondel aus dem Tal ist zwar nicht billig, aber sie fährt im Zehn-Minuten-Takt, auch bei Sturm und Glatteis. Mich wundert, dass nicht mehr Leute kommen, um die Aussicht zu genießen. Wahrscheinlich sind im Tal die Tapas besser.

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