deutsche sind verbrecher : Fröhliche Skepsis
Ein Denkmal für jeden, der noch nie in seinem Leben den Pfad des Rechts verließ. Das fordert Christian Bommarius in seinem Buch „Wir kriminellen Deutschen“. Und er ist sicher, es wird nicht viele Ruhmessäulen geben. Genüsslich beschreibt der Journalist das, womit sich fast jeder Mitbürger gelegentlich strafbar macht: vom Ladendiebstahl bis zum Mitgehenlassen am Arbeitsplatz, vom Versicherungsbetrug über die Schwarzarbeit bis zur Steuerhinterziehung. Aber er ist sicher, dass seine Vorhaltungen vergebens sind. „Nichts läge einem deutschen Steuerhinterzieher ferner, im Spiegel denjenigen wahrzunehmen, der er ist, ein Verbrecher“, schreibt Bommarius.
Doch er hat auch eine tröstliche Botschaft für seine kriminelle Leserschaft: „Nur 0,15 bis maximal 1,5 Prozent der hierzulande begangenen Vergehen und Verbrechen werden bestraft.“ Erwischt und verurteilt werden dabei vor allem diejenigen, denen man das Verbrechen schon immer zugetraut hat: Drogenabhängige, Ausländer und Angehörige der Unterschicht. Dagegen müsse sich der „gut betuchte Herr mit lupenreinem Lebenslauf“ wenig Sorgen machen – auch wenn der von ihm angerichtete Schaden in der Regel deutlich höher liegt. Bommarius hält das für durchaus funktional: Wenn man nicht alle ins Gefängnis sperren kann, müsse wenigstens eine Minderheit sitzen, damit alle das Gefühl haben, die Justiz funktioniere doch ganz gut.
Natürlich meint er das zynisch. Ihm geht es darum, Skepsis zu erzeugen gegenüber der ganzen Idee des Strafrechts. Vor allem warnt er vor dem „modernen Aberglauben“, man könne gesellschaftliche Konflikte und Missstände durch mehr oder höhere Strafen beseitigen.
So weit ist das Buch eine amüsant zu lesende Polemik. Doch dann beginnt faktisch ein zweites Werk, das leider im gleichen Einband steckt. Jetzt streitet Bommarius gegen die übertriebene Verbrechensfurcht der Bürger und den Versuch des Staates, das Verbrechen schon im Ansatz präventiv zu bekämpfen.
Und plötzlich schlägt der Ton um, fast ins Gegenteil. War zunächst das Verbrechen überall und meistens unentdeckt (selbst bei Mord und Totschlag!), versucht uns Bommarius nun vor allem zu beruhigen. „Die Zahl der Morde geht zurück“, heißt es im Brustton der Gewissheit. Und die vermeintlich wachsende Gewaltkriminalität sei nur Folge veränderten Anzeigeverhaltens. Wir harmlosen Deutschen.
Auch der anfangs so nachsichtig dargestellte Staat wird nun von Bommarius ganz anders präsentiert. Auf einmal kann die Masse der Bürger nicht mehr darauf vertrauen, in Ruhe gelassen zu werden. „Verdächtig ist, wer keinen Anlass gibt“, sei nämlich die neue Parole, warnt Bommarius. Jeder könne als Subventionsbetrüger oder Terrorist verdächtigt werden – gerade wenn er sich unauffällig verhält. Die Thesen des Buches sind also weitgehend gegenläufig und relativieren sich umgehend selbst. Ein kurioses Buch.
CHRISTIAN RATH
Christian Bommarius: „Wir kriminellen Deutschen“. Siedler Verlag, Berlin 2004, 129 Seiten, 16 Euro