: Frische Nieren von Indern und Russen
Dem illegalen Handel mit Organen rückt das neue Transplantationsgesetz zu Leibe ■ Von Manfred Kriener
Der erste Herz-Transplanteur hieß nicht Christiaan Barnard, sondern Pien Ch'iao. In einem „toxischen Tank“, in dem der Patient betäubt wurde, soll der chinesische Arzt angeblich schon 300 vor Christus versucht haben, ein menschliches Herz zu verpflanzen. 300 nach Christus töteten römische Soldaten einen „Mohren“, dessen Bein einem krebskranken Bürger Roms angenäht wurde. Die Geschichte der Organtransplantation ist alt, das Ergebnis der Eingriffe verheerend. Kein Patient überlebte die Experimente – bis 1954 in Boston bei eineiigen Zwillingen die erste wirklich erfolgreiche Nierentransplantation glückte. Nach 37 Tagen im Krankenhaus wurde der Patient nach Hause entlassen. Er begann, wieder zu arbeiten, heiratete die Krankenschwester, die ihn nach der Operation betreut hatte, und führte seitdem ein „normales Leben“.
Solch ein Happy-End ist selbst heute nach Organverpflanzungen nicht selbstverständlich. Aber immerhin leben fünf Jahre nach einer Nierentransplantation noch 70 Prozent, nach 15 Jahren noch 50 Prozent der Empfänger. Selbst bei der Lebertransplantation, 1988 zum ersten Mal in der Bundesrepublik durchgeführt, liegt die Überlebensrate nach einem Jahr bei 90 Prozent. Mit der Entwick- lung neuer immunsuppressiver Medikamente, die das Abstoßen übertragener Organe immer besser unterdrücken, erzielte die Transplantationsmedizin in den letzten Jahren erstaunliche Ergebnisse. Und sie wagte sich an neue Organe wie Bauchspeicheldrüse, Lunge und Darm, die lange Zeit als nicht transplantierbar galten. Im vergangenen Jahr wurden in der Bundesrepublik 2.033 Nieren transplantiert, 483 Lebern sowie – geschätzt – etwa 500 Herzen, 50 Bauchspeicheldrüsen und 50 Lungen.
Ginge es nach den Patienten auf der Warteliste und nach den Ärzten, wären die Zahlen noch höher. Doch die Spender fehlen. Grundsätzlich befürworten hierzulande zwar drei von vier Personen die Organentnahme, aber die wenigsten sind selbst ausgewiesene Spender. In der Bundesrepublik stehen jährlich nur etwa 1.300 Menschen als Organspender zur Verfügung. Nach Einführung der Anschnallpflicht für Autofahrer sind – so die makabre Bilanz – die Spenderzahlen nochmals zurückgegangen. Die chronische Unterversorgung mit Organen und der berüchtigte „Tod auf der Warteliste“ sind die Folge, der Organmangel ist das größte Problem der rasant expandierenden Transplantationsmedizin. Ethische Vorbehalte, wenn etwa einem fünfjährigen englischen Mädchen gleich sieben Organe auf einmal eingepflanzt wurden – das Kind starb vor einer Woche –, müssen da als Sekundärprobleme hintanstehen: Was die Medizin darf und wo die Grenzen liegen, wird kaum noch gefragt.
Grenzüberschreitend läuft, seitdem es die Transplantationsmedizin gibt, der illegale Handel mit Organen. Die Gruselmeldungen über verkaufte und ermordete Kinder, im Fluß treibende Leichen mit „fachmännisch“ ausgeräumten Organen, über erzwungene Nierenspenden mit vorgehaltener Pistole begleiten die Transplantationsmedizin im selben Rhythmus wie die Erfolgsmeldungen. Die neueste: In Großbritannien hat eine Mutter ein Drittel ihrer Leber der Tochter gespendet, beide sind wohlauf.
Vor allem aus den armen Ländern häufen sich die schlimmen Nachrichten: Paraguayische Kinder sollen zur Organentnahme in die USA verschleppt, honduranische Kinder an der Karibikküste ihrer Organe beraubt und tot aufgefunden worden sein. Aber nicht immer geht es gleich um Mord und Totschlag: Polnische Zwischenhändler preisen per Fax-Rundschreiben an deutsche Privatkliniken frische Nieren von polnischen Lebendspendern an. Reiche Westeuropäer jetten nach Indien, um sich dort auf der Straße einen Lebendspender zu suchen. Auch britische Ärzte – darunter die bekanntesten Spezialisten des Landes – haben einen gutgehenden Handel mit Nieren betrieben. Türkischen Männern, die sich in finanziellen Notsituationen befanden, wurde in London für 10.000 Mark Entlohnung eine Niere entnommen. Die Mediziner sollen von den Empfängern bis zu 70.000 Mark kassiert haben – was übrigblieb, ging in die eigene Tasche. Gegen die Ärzte Crockett, Joyce und Bewick wurde inzwischen ein ehrengerichtliches Verfahren eingeleitet.
Der Stern berichtete, wie sich ein Göttinger Ingenieur nach Bombay aufmachte und dort von dem Straßenhändler Dhanraj Agarwal aus einem Elendsviertel eine Niere bekam. In Indien, so scheint es, stehen nicht die Empfänger, sondern die Spender bei den einschlägigen Agenten Schlange, um ihre Niere zu verkaufen. Die Armen als Ersatzteillager für die Reichen, und die Krankenkasse soll den Indientrip auch noch bezahlen. Eine entsprechende Klage des Spenders gegen seine Ersatzkasse läuft. Die hatte die Zahlung abgelehnt.
Neben solch spektakulären Fällen gibt es die normalen. Ein Münchner Ex-Chefarzt erklärt öffentlich, daß er Augenhornhäute bei Verstorbenen entnommen habe, ohne die Hinterbliebenen damit „zu belasten“. Auch in Frankreich kam ans Tageslicht, daß sich die Ärzte illegal bedient hatten. Nicht immer geht es dabei ums Geld, häufig wollen die Mediziner „nur helfen“.
In der Bundesrepublik soll das neue Transplantationsgesetz eine bessere Versorgung mit Organen garantieren und damit Organhandel und illegale Entnahme stoppen. KritikerInnen des Gesetzes sprechen bereits von einem „Organbeschaffungsgesetz“. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, daß künftig die Organentnahme erlaubt ist, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt hat oder wenn die nächsten Angehörigen nach angemessener Bedenkzeit einer Organentnahme nicht widersprechen.
Angesichts des Ausbaus der Transplantationsmedizin und der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz für Transplantationen ist dieser Schritt logisch. Die Organentnahme würde dann zum Regelfall werden. Für die Ostdeutschen bedeutet dies keine Neuerung. In der DDR war die Organentnahme Standard, 30.000 Hypophysen sollen jährlich in den Westen exportiert worden sein. Die Angehörigen hatte allerdings niemand gefragt.
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