: Friedliche Kollateralschäden
Wer selbst Raketen aufstellt, sollte seinem Gegner keine Pazifisten auf den Hals hetzen: Nachdem Sowjetunion und DDR die westdeutsche Friedensbewegung für Propaganda einspannen konnten, tanzten ihnen am Schluss die Bürger auf der Mauer herum ■ Von Martin Ebner
„Besuchen Sie Europa, solange es noch steht!“ Zu Beginn der 80er-Jahre war dieser Slogan populär. Deutschland hatte Chancen, zum Schlachtfeld zu werden: Die Sowjetunion stellte „SS-20“-Mittelstreckenraketen auf, um Westeuropa bedrohen zu können, ohne die USA zu einem Gegenschlag mit interkontinentalen Atomwaffen zu provozieren. Die Nato wollte diese Auflösung des transatlantischen Militärbündnisses unbedingt verhindern und konterte mit dem bedrohlichen Beschluss, US-Raketen auch in Europa zu stationieren.
Die „Cruise Missiles“ und „Pershing II“ wiederum hätten das Kräftegleichgewicht zu Ungunsten der kommunistischen Staaten des „Warschauer Paktes“ verändert. Daher erteilte die KPdSU ihrer DDR-Bruderpartei SED den Auftrag, aus der westdeutschen Friedensbewegung eine „Anti-Nato-Bewegung“ zu machen, die nur gegen US-Raketen auf die Straße gehen, über die Waffen des Ostblocks aber selbstredend hinwegsehen sollte.
Wie erfolgreich die Kommunisten dabei die verbreitete Angst vor einem Atomkrieg auszunutzen, wussten, zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Plan und Realität: Die westdeutsche Friedensbewegung im politischen Kalkül der SED-Führung“, das im „Forschungsverbund SED-Staat“ der Freien Universität Berlin vor dem Abschluss steht. Der von der SED inspirierte „Krefelder Appell“ wurde von nicht weniger als 800.000 Menschen unterschrieben – der größte Erfolg kommunistischer Agitation in Westdeutschland. Hunderttausende nahmen an den Ostermärschen teil. „Die DKP kam mit auf die Kommandohöhen der Friedensbewegung“, erläutert Professor Manfred Wilke, der Leiter des universitären Forschungsprojekts. „Ihr Antiamerikanismus wirkt heute noch in der deutschen Gesellschaft nach. Die Vorstellung, die ganze Friedensbewegung sei von Moskau initiiert und gesteuert worden, ist aber zu einfach und falsch.“
Immerhin gab sich die SED große Mühe, den „Friedenskampf“ zu koordinieren. Für die „Anleitung“ der DKP und ihrer diversen Frontorganisationen, wie den „Bund der Antifaschisten“, den Marxistischen Studentenbund oder den Spartakus, war der „Friedensrat“ zuständig. Diese Einrichtung arbeitete im Rahmen der „Westarbeit“ der SED eng mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammen und unterstand im zentralen Parteiapparat der Abteilung „Auslandsinformation“, die von Honeckers Schwiegersohn Manfred Feist geleitet wurde.
1978 verzeichnet die Statistik des „Friedensrats“ den Versand von 25.800 Anstecknadeln, 1.500 Plakaten, 7 Filmen und hunderten Broschüren in die BRD. Der Verkauf des Agitprop-Materials diente auch zur Finanzierung der Kampagne. Die Ortsgruppe Niederkassel der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinte KriegsdienstgegnerInnen) beispielsweise meldete stolz nach Ostberlin, 3.000 Westmark erwirtschaftet zu haben. „Auf den ersten Blick sind das Peanuts“, sagt Manfred Wilke. „Für die devisenarme DDR waren das aber schon recht ordentliche Beträge. Was an sonstiger Subventionierung gelaufen ist, wissen wir nicht genau. Die DKP hat pro Jahr rund 100 Millionen Mark bekommen. Von der 'Abteilung Verkehr‘, dem Kurierdienst für Geldübergaben an die DKP, wurden aber im SED-Archiv die Unterlagen vernichtet.“
Auf Akten sind die Forscher jedoch angewiesen. Viele Veteranen der Friedensbewegung leben zwar noch und könnten interviewt werden – nach Ansicht der Historiker wären von vielen freilich nur „geschönte Darstellungen ihrer Tätigkeit“ zu erwarten. Dazu ist der Projektleiter Manfred Wilke nicht unbedingt ein Gesprächspartner, der von Altkommunisten und den Friedensbewegten jener Zeit gesucht wird: Als Gewerkschafter und ehemaliges Mitglied des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ hatte er schon früh Kontakte zu osteuropäischen Dissidenten gesucht und die Öffentlichkeit der Bundesrepublik mit Warnungen vor einem wachsenden DKP-Einfluss genervt.
Für die DKP lief es in den 80er-Jahren zunächst sehr gut. Klaus Mannhart, der Vorsitzende der DFG-VK, konnte in Ostberlin rapportieren, von den rund 180 Organisationen der westdeutschen Friedensbewegung würden nur fünf nicht von der DKP kontrolliert. „Das eigentliche Ziel der Anti-Nato-Kampagne, die Beeinflussung der westeuropäischen Sozialdemokraten, wurde weitgehend erreicht“, meint der Historiker Michael Ploetz. „Mit der Friedensbewegung gelang es der informellen Koalition von Kommunisten und SPD, die Massen zu mobilisieren – die sie dann aber nicht unter Kontrolle halten konnte. Ab 1982 wurde der 'Friedenskampf‘ der DDR zunehmend defensiv und führte zu immer mehr 'Kollateralschäden‘. Aus DDR-Sicht ist das Ganze blamabel nach hinten losgegangen und endete 1989 mit dem Tanz auf der Mauer.“
Von Großbritannien ausgehend wurde nämlich die „Kampagne für nukleare Abrüstung in Europa“ (END) aktiv. Sie engagierte sich für eine blockübergreifende Friedensbewegung und sah einen Zusammenhang zwischen Frieden und der Beachtung der Menschenrechte. In Westdeutschland zog Bundeskanzler Kohl die Aufstellung der US-Raketen durch – und die neue Bewegung der Grünen trat mit einer „Supermacht-Theorie“ auf, die beiden, den USA und der Sowjetunion, die Schuld an der Aufrüstung gab. Schlimmer noch: In der DDR selbst entstand eine eigene, von der SED unabhängige Friedensbewegung. Die Stasi beobachtete mehr und mehr „Jungerwachsene mit feindlich-dekadentem Äußerem“, die gegen die weitere Aufrüstung und die staatliche Wehrerziehung protestierten.
Die Stasi bemühte sich zwar verzweifelt, jegliche Kontakte von westlichen und osteuropäischen Friedensaktivisten zu verhindern – trotzdem gelang es im Mai 1983 den Teilnehmern des „END-Konvents“, sich in Ostberlin mit einigen unabhängigen Pazifisten zu treffen. Petra Kelly, Gert Bastian und drei andere Grüne entrollten sogar auf dem Alexanderplatz die Transparente „Schwerter zu Pflugscharen“ und „Abrüstung in Ost und West“.
Die Grünen überforderten einfach das „schlichte Schwarzweissdenken“ der SED-Apparatschiks, sagt Michael Ploetz: „Die Grünen waren eine oppositionelle Kraft in der BRD, gehörten aber nicht zur Arbeiterklasse.“ Die Stasi behalf sich damit, die Grünen nach DKP-Nähe den „Guten“ oder den „Bösen“ zuzuordenen. Petra Kelly etwa war definitiv böse: Stasi-Chef Erich Mielke konnte seine KGB-Genossen davon überzeugen, die prominente Pazifistin sei eine CIA-Agentin. „Man kann sich diese Leute und ihre Verschwörungstheorien nicht primitiv genug vorstellen“, erklärt Ploetz. „Die Idee, dass Menschen aus eigenem Antrieb handeln, von sich aus Angst vor dem Atomtod haben könnten, war den Kommunisten völlig fremd. Für sie war alles entweder 'von uns gesteuert‘ – oder vom Feind.“
Auch gegenüber den eigenen Freunden auf der anderen Seite ließ man einige Vorsicht walten. „Jedenfalls“, so Michael Ploetz, „hat das Ministerium für Staatssicherheit von sämtlichen Briefen an den Friedensrat Kopien gemacht.“ Häretiker wie Trotzkisten, Maoisten oder die „imperialistische amnesty international“ wurden ohnehin schon auf den Listen über „Feindorganisationen“ erfasst. Das MfS sammelte umfangreiches Adressmaterial über die unabhängige Friedensbewegung in ganz Westeuropa.
Gebracht hat die Fleißarbeit nichts. Als Gorbatschow an die Macht kam, war die SED-Diktatur verloren. „Dass die Kommunisten den 'Friedenskampf‘ offensiv geführt haben, wirkte der Selbstisolierung ihrer Staaten entgegen“, erklärt Michael Ploetz: „Sie mussten ihr System ein Stück weit öffnen – und haben so eine Selbstbeeinflussung erzielt.“ Viele Aktivisten der Perestroika-Zeit waren vorher im „Friedenskampf“: Georgi Arbatow zum Beispiel, der Leiter des Moskauer Instituts für USA-Forschung, saß in der „Palme-Kommission“, um die Sozialdemokraten zu lenken – später machte er sich für die Veröffentlichung des sowjetischen Militärbudgets stark. Daniel Proektor verhinderte 1982 als Sowjet-Delegierter auf dem „2. Nürnberger Tribunal gegen Massenvernichtungswaffen“ Debatten zu Menschenrechtsverletzungen im Ostblock – später legte er sich mit den Moskauer Militärs an.
In der Aufklärung der sowjetischen Eliten sieht der Historiker im „Forschungsverbund SED-Staat“, Michael Ploetz, im Rückblick auf „die letzte große Schlacht des Kalten Krieges“ den bleibenden Erfolg der Friedensbewegung. Die Hardliner um Breschnew hätten zunächst Atomwaffen tatsächlich als eine Art bessere Artillerie betrachtet und entsprechend über ihren Einsatz nachgedacht. Die Katastrophenszenarien der Pazifisten hätten ihnen dann aber klargemacht, was Atomwaffen wirklich sind: „Auf verrückte Weise wirkte die Friedensbewegung im westlichen Sinne – nicht im kommunistischen.“
Hinweis:Die Grünen überforderten einfach das schlichte Schwarzweißdenken der ostdeutschen SED-Apparatschiks
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