piwik no script img

Friedenspropaganda im „britischen Guernica“

■ In Coventry trifft sich die „6. Konvention für Europäische Nukleare Abrüstung“ (END) / 1.000 Teilnehmer aus 40 Ländern in Ost und West / In der britischen Weltkriegs–Gedenkstätte begegnen sich Friedenswille und Kriegstourismus

Aus Coventry Uta Ruge

Ein Foto aus dem Geschichtsbuch, an das ich mich noch gut erinnere: In den Ruinen der zerstörten Kathedrale steht ein Bischof. Um ihn herum sind noch Rauch und Staub und die geschwärzten Wände mit zerbrochenen Kirchenfenstern zu sehen. Und ich erinnere mich auch daran, wie unser Geschichtslehrer erzählte, daß er habe das Wort „coventrisieren“, das die deutsche Propaganda nach der Bombardierung der Stadt erfunden hatte, eher witzig als entsetzlich gefunden. Nach anderthalb Stunden Zugfahrt von London und einem kurzen Gang durch das in den 50er Jahren neuerbaute Stadtzentrum von Coventry kommt man - unweigerlich - in der Ruinen– Anlage der zerstörten Kathedrale an: ein Kirchenraum ohne Dach, umgeben von gotischen Bogenfenstern, durch die der Wind streicht. Mittendrin, zwischen den verwitterten Säulenbögen, haben sich Rucksacktouristen und Friedensbewegte niedergelassen. Im Hintergrund probt eine Theatergruppe. Coventry hat wieder einmal zu seiner Gedenkstätte eingeladen, das Guernica Großbritanniens ist in dieser Juliwoche Gastgeber für die „6. Konvention für europäische nukleare Abrüstung“, zu der sich knapp 1.000 Abrüstungsinteressierte aus 40 Ländern, Ost und West, rund um die Kathedrale versammelt haben. Am Kopf der Anlage steht das berühmte Kreuz, das ein Kirchendiener wenige Tage nach der Bombardierung aus zwei verkohlten Dachsparren mit Draht zusammengebunden hat. Dahinter läuft ein in den hellen Stein geschnittenes Spruchband an der Mauer entlang: „Father forgive“ - Vater, vergib ihnen. Und damit beginnt das Propaganda–Unternehmen Coventry, Propaganda gegen Haß und Krieg, für Frieden und Verständigung. Auf diesen Teil der Ruine führt, logisch und im rechten Winkel, der monumentale Bau der neuen Kathedrale zu - Ort vieler Foren, wie diese von der britischen Kampagne für „European Nuclear Disarmament“ (END) ausgerichtete Konferenz. Es hat ja Zeiten gegeben, da wurden Bahnhöfe wie Kirchen gebaut; hier ist es umgekehrt. Der vor genau 25 Jahren eingeweihte Kirchenbau - Architekt: Basil Spencer -, der seither über zehn Mio. Besucher in die Stadt gezogen hat, ist eine nüchterne Mehrzweckhalle, Ausstellungsort, Konzertsaal und Touristen–Auffangpunkt. Wo sonst alles nach Jahrhunderten zählt, Glasmalerei, Chorgestühl und Altar: hier ist es nicht älter und nicht schöner als man selbst. Aber am deutlichsten manifestieren sich Optimismus und Friedenswille in dem Wandteppich, der 24x13 Meter groß das Sanktuarium hinter dem Altar abschließt und einen triumphierenden Christus abbildet. In dieser Woche lenken allerdings die knallgelben Spruchbänder und Peacezeichen der Friedensbewegung vom Heiland ab. Makaber wird es im Untergeschoß der Kathedrale. Noch ehe ich begriffen habe, was hier vorgeht, stecke ich mittendrin. Eigentlich war ich nur auf dem Weg zu einem Informationsfilm über Coventry - da hat mich schon die routinierte Wegweiserhand einer Angestellten in einen dunklen Seiteneingang geschoben, und damit in Hörweite eines Kinos, so denke ich wenigstens. Denn während ich noch einigermaßen verblüfft einen mit modernistischen Hologrammen bebilderten Kreuzweg abgehe, höre ich schon deutlich die Stimmen eines Mannes und einer Frau samt Motorengeräuschen und Schreien wie durch eine Wand. Aber dann bin ich unversehens selbst im Zentrum des Geschehens, einer nächtlich düsteren Wohnung, in der Steine und abgebröckelter Putz auf Sofa und Teppich liegen, der Tisch ist umgestürzt, und die heulenden und brüllenden Flugzeuggeräusche sind jetzt direkt über mir. Und noch ehe ich den Notausgang gefunden habe, neigt sich plötzlich knirschend die Zimmerdecke auf mich herab, während gleichzeitig etwas sehr laut neben mir zu explodieren scheint. Erst als ich den Weg nach draußen gefunden hatte - die Decke hatte sich wieder ge hoben, die Stimmen hatten von neuem angefangen zu streiten, ob man in einen Schutzraum gehen solle oder nicht -, sah ich das Schild: „Erleben Sie den Blitz in einem bombardierten Haus!“ Bombenkrieg als Jahrmarktsbudenzauber. Coventry wurde im November 1940 und noch einmal zu Ostern 1941 von der deutschen Luftwaffe schwer bombardiert. Man zählte 1.200 Tote und mehr als doppelt so viele Verwundete. Noch während des Krieges nahm der Magistrat der Stadt nicht nur den Wiederaufbau in Angriff, sondern auch die Herstellung internationaler Freundschaftsbande. Frauen von Coventry sandten 1942 ein Grußtelegramm ins damalige Stalingrad, und Volgograd - wie es heute heißt - gehört zu den mehr als 25 Partnerstädten von Coventry. Und bereits 1954 hatten Volgograd und Coventry einen gemeinsamen Appell an die Vereinten Nationen gerichtet, die Wasserstoffbombe aus dem Arsenal der damals schon zum Rüstungswettlauf um den Overkill angetretenen Supermächte zu streichen. Friedensanstrengungen von der Basis her, das ist also nichts Neues in Coventry. Dennoch wäre ein Portrait Coventrys nicht komplett, würde man nicht das erwähnen, was die Stadt in Kriegs– wie in Friedenszeiten ökonomisch gesichert hat: ihre Motoren– und Werkzeugmaschinen–Industrie, die elektronische und mechanische Präzisionsinstrumente für Raumfahrt und militärische Zwecke herstellt. Schon im Ersten Weltkrieg stammten Flugzeuge aus Coventry, im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt eben wegen ihrer Rüstungsindustrie bombardiert, und bis heute werden hier Panzerwagen und Flugzeugmotoren gebaut. Bei einer Arbeitslosigkeit, die mit 19 Prozent über dem britischen Landesdurchschnitt liegt und in den Wohngebieten der ethnischen Minderheiten aus Indien und der Karibik bis auf 70 Prozent ansteigt, wäre ein Produktionsstreik gegen die Herstellung von Waffen undenkbar. Es gehört zu Coventrys Symbolik, daß hier Rüstungs– und Friedensaktivitäten sowie die hilflos–frivole Art, mit der der Krieg touristisch ausgebeutet wird, nebeneinander stehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen